Dr. Michael Piatti-Fünfkirchen

* 1955

  • "Eine andere Geschichte, die damit zu tun hat, erzähle ich Ihnen auch. Ich habe ja angefangen im Jahr 1990 mit den Behörden und mit Privat und mit Bodenfonds mährische Grundstücke, die der Familie früher gehört haben, wieder zu übernehmen und zu bewirtschaften. Wir haben ja in Österreich angefangen im Jahr 1983, wie das war mit dem Ballon und der Geburt von dem Moritz, die Farm auf biologische Landwirtschaft umzustellen, das gab es damals kaum noch. Also wir haben das als Hippies ziemlich, wir wurden als verrückt erklärt. Wir haben keine Ahnung gehabt, ob das gut geht oder nicht. Es ist sehr gut gegangen, und der Betrieb hat prosperiert und prosperiert jetzt immer noch und geht gut und investiert und hat sich auch nach Tschechien erweitert, indem eben alte Fünfkirchen´sche Felder wieder zurückrestituiert werden konnten mit Restitutionspapieren, mit Abkauf, mit Pacht, mit Tausch. Wilde Zeiten, 90er Jahre, jedes halbe Jahr waren andere rechtliche Vorschriften, und man war nie sicher, ob es einem wirklich gehört oder nicht, wenn man es bezahlt hatte, das war nicht sicher. Aber das hat immer gut geklappt. Und die tschechischen Behörden waren immer sehr fair und immer sehr korrekt und sehr sachlich, aber auch die tschechischen Privatpersonen, die schon Eigentum hatten, waren eigentlich immer fair, und ich bin nie betrogen worden, nur ein einziges Mal, aber gut. Das war wirklich gut, und vor allem auch die Behörden, was administrative Organisation betrifft. Die Tschechen haben ja in kürzester Zeit Kommassierungen gemacht, also „pozemková úprava“. Da hat es ja vier verschiedene Kataster auf der gleichen Parzelle gegeben: Maria Theresia, in den 20er Jahren, neuer Kataster, und dann Hitler, neuer Kataster, und dann nachher die kommunistischen Kataster. Und gewisse Gemeinden haben das durchgeführt, andere haben das nicht durchgeführt, es war ein Saustall, es war ein totaler Saustall. Man wusste nicht, wem was gehört. Die Tschechen haben in kürzester Zeit, in zwei Jahren, aufgeräumt, ein Kataster gemacht, ein Grundbuch gemacht, es über das Internet einsichtig gemacht, gratis einsichtig, wer dort arbeitet, wie groß es ist, wem es gehört, super. Also das war einegroße Leistung, dass das wissen die Leute nicht. Ja, normalerweise dauert das Jahrzehnte, also in Österreich Jahrhunderte."

  • "Ich habe geheiratet im Jahr 1983 und wir sind zu diesem Stutenhof gezogen und haben dort gewohnt, haben dort angefangen zu wohnen. Ich habe dort früher nie gewohnt, sondern ich habe in Loosdorf gewohnt, und in Wien und sowas. Stutenhof war ein großer Hof, sehr schön, liegt sehr schön. Prachtvoll eigentlich, also weit und breit keine anderen Gebäude. Sie können sich dort umdrehen, 360 Grad, und sehen kein anderes Gebäude in Mitteleuropa, in der Ebene. Das gibt es kaum mehr, jedenfalls sind wir dort hingezogen, meine Frau und ich, und dann ist der Moritz auf die Welt gekommen, das sind vier Kinder, das erste war Moritz, der ist im Jahr 1983 auf die Welt kommen. Und wir waren ja Hippies und sind nicht ins Spital gegangen, weil wir gesagt haben, meine Frau hat gesagt, sie ist nicht krank, sie braucht kein Spital. Wir hatten eine sehr gute Hebamme, die alte Frau Sojka, und Frau Sojka hat das gut trainiert und diese Geburt vorbereitet und ist auch gekommen zur Geburt am Stutenhof. Die nächste Ortschaft war fünf Kilometer weit weg, das nächste Spital, eine halbe Stunde, fast eine dreiviertel Stunde damals entfernt. Also wir waren halt jung, und die Sojka hat das super gemacht, die Ärztin ist nicht gekommen, und wir haben natürlich telefoniert, Standtelefon, es gab keine Handys, kein Internet, gar nichts, und die ist nicht gekommen, sie hat es nicht gehört in der Nacht aber die Frau Sojka war ja da und hat das bestens gemacht, ich hab keine Ahnung hat von Geburt, ich war außer mir, was das dann ist nachher. Es ist wirklich ein existenzieller Schock, wenn man so will, aber es ist alles wirklich gut gegangen. Der kleine Moritz ist auf die Welt gekommen, und die Sojka hat mir dann einen Plastiksack in die Hand gegeben und mir gesagt, das ist die Nachgeburt, bitte zur Entsorgung. Also ich schon glücklich und habe schon geschlafen und bin rausgegangen, ganz früh um vier Uhr in der Früh, am 8. September 1983. Ich habe das eingegraben, möglichst tief, dass es der Fuchs nicht erwischt, und hatte einen Weinanfall bekommen vor lauter Glück. Und dann habe ich auf den Himmel geschaut und sehe einen Ballon fliegen, über die Grenze, über Nikolsburg fliegt im ersten Licht ein Ballon. Und ich habe ihn gesehen, das habe ich zur Kenntnis genommen, er ist Richtung Österreich geflogen. Es sind Jahre vergangen, und wir haben einen Kartoffelbau aufgezogen am Stutenhof. Und ich brauchte große Kisten, 1000-Kilo-Kisten, Kartoffel-Holzkisten zur Lagerung, und mir ist ein gewisser Herr Magušin empfohlen worden, aus der Slowakei, Bratislava Umgebung. Also den habe ich angerufen, und der konnte Deutsch, nicht gut, aber doch, ihm ein Fax geschickt mit Zeichnungen, wie das ausschauen soll, den Preis ausgemacht, okay, akzeptiert, dann hat er mich nach einem Monat angerufen, die Kisten sind fertig, er kommt mit zwei Lkw und baut die zusammen, am Stutenhof vor Ort schraubt er sie zusammen. Dann fragt er, wo er denn hinfahren soll. Und ich sage: Stutenhof, aber das können Sie nicht wissen, ich erkläre ihnen jetzt, wo das ist. Nein, nein, sagt er, er weiß genau, wo das ist. Aha, er weiß, wo der Stutenhof ist? Das weiß sonst niemand! Dann ist der Herr Magušin erschienen, und ich habe ihn gefragt, warum wissen Sie, wo Sie hinfahren müssen? Da sagt er, ja, er hat in Březí bei der Armee gedient, bei der tschechischen, und musste zwei Jahre lang beim Militär dort dienen. Und ich habe ihn so blöd gefragt, wie war denn das dort? Und er hat gesagt, wie wird das gewesen sein? Es war natürlich furchtbar, das Essen war grauenhaft, es war wenig, es war scheußlich, zwei Jahre nichts machen, fade, widerlich. Dann hat er das so aufgeworfen. Ein einziges Mal, aber da war es schon, da war das nicht ganz so einfach. Ich war mit einem Kollegen und einem Kapo auf Wachdienst, zu Fuß auf diesem Signalgast, das sind diese Straßen vor dem Draht, von Tschechien aus gesehen vor dem Stacheldraht, in die Richtung Österreich, und wir sind zu dritt gegangen, und das war vier Uhr in der Früh oder so, und da ist ein Ballon geflogen und ja, wir hatten Schießbefehl, und wir haben auf diesen Ballon schießen sollen, und wir haben das verweigert. Er hat erzählt „diese russischen „Puschkas“, das geht schon wieder nicht, Schei*gewehr!“ und haben nicht geschossen und mussten auch ins Gefängnis gehen, ins Militärgefängnis, eine Woche. Dann hat er gesagt, das war aber ganz wurscht, im Gefängnis oder nicht im Gefängnis, das war beim Militär ungefähr dasselbe. Und ich habe ihn so angeschaut und gesagt: Na ja, das war am 8. September um vier Uhr in der Früh. Und ich sehe ihn jetzt noch so vor mir, wie ihm der Mund runtergefallen ist. Er hat geglaubt, ich bin ein KGB-Agent. Wir haben also beide, von beiden Seiten diesen Luftballon gesehen."

  • "Ich war in Wien in der Schule, Jesuitenschule, acht Jahre Internat, auch sehr lustig, aber nicht immer und wir sind dann immer nach Wien gebracht worden. Alle 14 Tage oder drei Wochen hatten wir Ausgang. Mein Vater hat immer die tschechischen Autos gezählt, die ihm entgegengekommen sind, auf der Brünner Straße, also Vídeňská, und die sind immer mehr geworden, und das war schon sehr offen und sehr liberal, wegen Dubček. Mein Vater hatte auch Kontakt zu den tschechischen „Stateks“, Státní statek Mikulov, Státní statek Drnholec, da gab es Kontakte zu den Direktoren. Bier haben die getauscht über die Grenze, das war eigentlich schon ziemlich zivil. Dann war da natürlich diese Okkupation, und dann war es aus und große Aufregung in Österreich, weil es damals nicht ausgemacht war, welches System gewinnen wird. Das war nicht ausgemacht, weil ja der Kommunismus stark war, wirtschaftlich auch noch stark, militärisch sowieso, und es hätte auch anders ausgehen können. Bei uns zu Hause in Losdorf war immer ein Auto vollgetankt. Also das war nicht ausgemacht, welches System da diesen kalten Krieg überlebt. Ja, dann war es aus und dann es wieder zu - und Ende."

  • Full recordings
  • 1

    Mikulov, 29.08.2025

    (audio)
    duration: 01:14:50
    media recorded in project Living Memory of the Borderlands
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Diese fremdländische Menschen sind plötzlich Nachbarn geworden

Michael Piatti-Fünfkirchen
Michael Piatti-Fünfkirchen
photo: Archiv pamětníka

Michael Piatti-Fünfkirchen wurde am 23. Januar 1955 in Wien als Sohn der Adelsfamilie Piatti geboren und verbrachte seine Kindheit in Loosdorf. Im Alter von zwei Jahren wurde er von der bedeutenden Adelsfamilie Fünfkirchen adoptiert und damit auch Eigentümer des Stutenhofs. Dieser wurde später sein Wohnsitz, wo er praktisch am „Rand des Systems” lebte. Während der Zeit des kommunistischen Regimes besuchte er die Tschechoslowakei. Im Grenzgebiet wurde er Zeuge einer dramatischen Flucht über die Staatsgrenze mit einem Heißluftballon. 1983 beschloss er, sich der biologischen Landwirtschaft zu widmen. In den 1990er Jahren begann er auch auf der tschechoslowakischen Seite der Grenze unternehmerisch tätig zu werden und wurde nach und nach zu einer der Persönlichkeiten, die zur Einführung der Prinzipien der biologischen Landwirtschaft in der Tschechischen Republik beitrugen. Seine Erfahrungen brachte er auch in die Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission ein, wo er als Mitglied des Beratungsgremiums der europäischen Agrarpolitik mitwirkte. Im Jahr 2025 lebte er in Wildendürnbach in unmittelbarer Nähe der Grenze.