Helmut Meewes

* 1929

  • „Ja und dann bin ich langsam dazu gekommen, dass sie mich fragten, och ich auch große Sachen machen könnte. Und dann habe ich gesagt, ja, natürlich. Und dann wurde ich abgezogen aus der anderen (Arbeit), kam wieder nach Zárubek und habe im Vorhof, wo ein riesiges Feld, was nicht benutzt wurde, weil da die Seile langging, da durfte keiner gehen, und da habe ich gesagt – ja, wie groß wollt ihr das haben? Ja, so drei mal fünf Meter brauchen wir, wir stellen es dann hoch, damit jeder Arbeiter der kommt, sehen kann, dass Gottwald die Bergargeiter grüßt. Also mit einer Geste. Und dann haben sie mir Zeitungsausschnitte gebracht, wie Gottwald aussieht, den hatte ich ja nie gesehen in meinem Leben, und ich habe mir aus den Zeitungsausschnitten die Vergrößerung gemacht und dann habe ich gesagt – so, jetzt kann ich nur an den großen Leinwänden arbeiten und das dauert mindestens eine Woche, wenn nicht noch mehr. Ja, ja, freigestellt für eine Woche erstmal, und dann sehen wir weiter! So, und dann hatte ich eine Woche schön. Es wurde schon langsam Frühling, ich habe schön in der Sonne gesessen und habe gesagt – es ist eigentlich ganz toll, hier obertags zu arbeiten. Dann wurde ich langsam bekannt – ah, der Maler ist wieder da! Ich durfte durchs Tor gehen, wann ich wollte, ich sagte nur Auf Wiedersehen, ich habe eine kleine Esskneipe gehabt in der Nähe, und mit dem Geld, was ich verdient hatte, habe ich zum ersten Mal in einem Lokal gegessen. Obwohl ich immer noch diese drolligen Anzüge anhatte, ich hatte noch keine Zivilklamotten. So ging es mir eigentlich sehr gut und ich war fröhlich. Und dann habe ich dieses Ding eben groß gemalt, in der Art, in der in allen kommunistischen Ländern die Gegenwart gezeichnet wurde. Alle strahlten immer übers ganze Gesicht, auch wenn sie schwer was gearbeitet haben, immer lächelnd. Und Gottwald, ja, die Bilder waren nicht so toll, aber er musste natürlich strahlen und gut aussehen. Dann habe ich ihnen einen schonen Gottwald gemalt.“

  • „Unser Direktor, mit seinem Parteiabzeichen, ein ganz strenger Nazi, der sagte – na ja, ich will euch schon mal vorbereiten, wahrscheinlich werdet ihr die letzte Hoffnung werden. Aber es ist auch richtig, ihr sollt etwas tun, damit wir den Endsieg erringen. Wir mussten uns immer halten, damit wir nicht lachen, weil wir wussten genau, wie die Situation der deutschen Wehrmacht war und wussten, dass es nur ein paar Wochen dauert und dann ist Schluss. Und da war es eines Tages so weit, wir hatten Englischunterricht, und waren mitten in der Englischstunde, es wurde die Tür aufgerissen. Und unser Englischlehrer stand auf, wir guckten uns alle an und zur Tür – ein SS-Mann, Offizier, mit Riesenorden an der Brust. Er sagte – was habe ich gehört, ich soll die Stunde nicht stören? Hier geht es um unseren Endsieg! Halten Sie das Maul oder ich verhafte Sie sofort. Und der Englischlehrer sagte – das können Sie nicht einfach machen. Ich bin ein freier Mensch und habe nichts getan. Sie werden noch sehen, was Sie davon haben. Und ich sehe jetzt die Klasse, vierzehn Leute. In einer halben Stunde auf den Hof antreten, das weitere erzähle ich unten. Schmiss die Tür zu, ging runter, wir hängten alle am Fenster. Am Schulhof standen schon die ganzen Wehrmachtswagen, eine halbe Kompanie von SS-Leuten. Ein Schreibtisch auf dem Schulhof und jemand der da saß mit Tinte. Wir wussten nicht, ob wir nicht weglaufen sollen. Und dann sagte Manfred, unser Antifaschist, es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es sich anhört. Wir gingen langsam runter und dann fing es sofort an. - In Linie angetreten und jetzt werde ich euch etwas sagen. Wir haben zwei Möglichkeiten, die ich euch bieten kann. Entweder, die eine Möglichkeit ist, ihr meldet euch freiwillig zum Wehrdienst, oder ihr kommt sofort an die Front, kriegt dort eine Waffe und werdet sofort zum Kampf eingesetzt.“

  • „Wir sind dann auf einem Fußballplatz mitten in diesem kleinen Städtchen gekommen. Und dieser Fußballplatz waren eigentlich die zwei letzten ganz schlimmen Tage in meiner beginnenden Gefangenschaft, die ich überhaupt erlebt habe. Weil da war nun auch nichts mit Essen. Es war eine Mauer um den Fußballplatz gebaut, aber nicht neu, sondern die war alt. Und über die Mauer, als wir da waren, so ein zwei Stunden,( ich habe mich in das alte Tor vom Fußball verkrochen, mich da in eine Ecke gelegt, die anderen haben sich irgendwo hingelegt), und da flogen die ersten Pakete über die Mauer. Ich hatte mein kleines Paket und wollte das auch nicht zeigen, weil ich gesehen habe - das was die Menschen uns hinübergeworfen haben, da rannten drei vier Leute, prügelten sich, rissen sich das Brot aus der Hand. Und das Brot fiel dann runter und sie traten drauf, sie prügelten sich nur, weil einer dachte, der andere kriegt mehr. Da habe ich das erste Mal in meinem Leben gesehen, was Hunger anrichten kann mit menschlichen Gefühlen, die nichts mehr im Sinne hatten, als nur an irgendeinen Stück Brot zu kommen.“

  • „Wir sind im Ganzen vier Tage marschiert. Wir sind ungefähr 35 bis 40 Km pro Tag gelaufen. Zwischendurch waren einige Pausen. Wenn irgendetwas passiert ist, irgendjemand ist in der Kolonne umgefallen, Herzschlag oder so etwas, dann ist er ist mit dem Rotenkreuzwagen weggefahren worden, oder von den Russen einfach zur Seite eliminiert und da ist er gestorben und da haben die ihn irgendwann mitgenommen. Es war ziemlich unkontrolliert. Nur diese Kolonne, die hatte einen eigenen Rhythmus. Wenn in der Entfernung von drei Kilometern vorwärts irgendetwas passierte, ein Engpass war, vielleicht eine kleine Brücke, dann verengte sich der Strom und dann war es so, dass wir plötzlich stoppen mussten. Dass war teilweise sehr schön, weil wir uns dann ein Bisschen ausruhen konnten. Ich habe mich ein Bisschen voran gearbeitet zu einem…. Da fuhr ein Deutscher mit einem Leiterwagen. Er wusste sehr genau Bescheid in der Gegend, ich weiß nicht, ob er früher da gearbeitet hat. Der hatte ein Pferd und kleinen Leiterwagen, da war nichts drauf, nur ein Bisschen Futter für das Pferd, Heu und Futter. Und der hatte mir erlaubt, mich da hinten anzuhängen, an dem Wagen. Mit einer Hand anzufassen, weil dadurch das Vorwärtslaufen erleichtert wurde. Und ich habe sogar nachher, im Laufe der Tage, gelernt, kurz einzuschlafen. Beim Laufen und beim Festhalten. Das kann man machen…“

  • „Und in Krakau musste ich den Zug wechseln nach Krynica. In Krakau saß ich auf dem Bahnhof alleine, hatte ungefähr eine Dreiviertelstunde Zeit und sah zu ersten Mal ganz langsam an mir vorbeifahren einen Zug der nach Auschwitz fuhr. Mit Stacheldraht verhängten Fenstern. Die Leute innen, ich habe sie erkannt an den Streifen, die sie hatten, den Streifenanzügen, die hingen in den Stacheldrahten drinnen. Sie haben sich festgehalten und geschrien. ´Wir wollen frei sein, wir wollen frei sein, wir wollen frei sein.´ Und ich habe mich dann erkundigt, der Zug ging nach Auschwitz. Wahrscheinlich sogar hier von Theresienstadt. Es war ein Zug, den ich nie vergessen werde. Und später habe ich selber in einem solchen Zug gesessen. Aber das konnte ich nicht ahnen. Es war so ein entscheidendes Erlebnis für mich, es hat meine ganze Denkensweise völlig auf den Kopf gestellt.“

  • „Und in Prag waren schon sehr viel zerschossene Sachen von den Kämpfen, die da waren. Und ich erinnere mich ganz genau, dass wir durch eine Straße fuhren, es muss hier in dieser Gegend gewesen sein, denn wir fuhren irgendwann auf die Mitte des Wenzelsplatzes. Daran kann ich mich gut erinnern, weil ich den Wenzelspaltz von meinen nächtlichen Besuchen auswendig kannte. Ich wusste – da war damals das Kino und da war das… Und wie wir auf den Wenzelsplatz fuhren, bekamen wir von der anderen Seite des Platzes Beschuss von den Dächern schon mit Maschinenpistolen, Maschinengewahren. Und meine beiden (Kollegen) haben gesagt, wir bleiben hier nicht lange darin, komm, wir steigen raus. Und auf eine Feuerpause, wie man so schön sagte damals, wo nicht geschossen wurde im Augenblick, Raus mit dir sagte er, Kleiner, lauf in die nächsten Häuserzahle auf der anderen Seite und warte auf uns. Und sie sind auch rausgekommen, und in dem Augenblick, als ich raus war, von der Straße weg war…. der Wenzelspaltz hat ja noch eine Mitte, Ebene, die man überqueren musste, dann kommt noch eine andere Straßenseite und dann kommen schon wieder Hauseingänge, Läden und so weiter. Da habe ich gewartet, da kamen die beiden und dann fing die Schießerei schon wieder an. Und ich sah zwei von meiner Klasse, die wollten noch aussteigen und sind getroffen worden und sind umgefallen…“

  • Full recordings
  • 1

    Praha, 29.09.2022

    (audio)
    duration: 04:04:47
  • 2

    Praha, 30.09.2022

    (audio)
    duration: 01:19:19
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Francisco - child in war

Helmut Meewes als Junge in Berlin
Helmut Meewes als Junge in Berlin
photo: pamětník

Helmut Meewes war ein Kindersoldat. Im Prinzip hatte er keine Wahl, und seine Eltern hat niemand gefragt. Geboren wurde er am 15. November 1929 in Hamburg. Seine Berliner Schulklasse wurde 1944 nach Řevnice bei Prag evakuiert, von wo er später von der SS in ein Ausbildungszentrum in Pilsen gebracht wurde. Er war fünfzehneinhalb Jahre alt, als er am 9. Mai 1945 an einem der letzten Feuergefechte des Zweiten Weltkriegs auf dem Wenzelsplatz in Prag teilnahm. Danach gehörte er zu einem Kriegsgefangenenkontingent und erlebte einen zermürbenden Fußmarsch zur österreichischen Grenze, einen Aufenthalt in einem Wald-Kriegsgefangenenlager, einen Arbeitseinsatz bei Bauern und mehrere Jahre Zwangsarbeit in den Bergwerken von Ostrau. All dies als Minderjähriger. Ende 1948 wurde er nach Deutschland entlassen. Als überzeugter Pazifist und Vegetarier, in den 1960er Jahren Fan der Hippie-Kultur, entwickelte er sich schließlich zu einem erfolgreichen Filmemacher und drehte unter anderem den Kunstfilm Das Mahnmal von Nandor Glid in Dachau. Von Kindheit an bis heute malt er auch Bilder. Er signiert sie unter seinem nicht deutsch klingenden Namen - Francisco.