Kurt Hein

* 1929

  • "Mein Vater wusste, ich bin in der Hitlerjugend. Der hatte noch das alte Parteibuch der SPD und er hat gedacht, wenn die Tschechen wieder zu uns kommen, dass ihm das was nützt. Aber das hat ihm nichts genützt. Er war Deutscher, er ist als Deutscher behandelt worden und nicht als Antifaschist. Der hatte noch das Ding. Ich weiss, er hat jeden Abend, den englischen BBC eingeschaltet gehabt. Die Deutschen haben da nur Propaganda gemacht im Radio. Und die Engländer ich will hören immer noch das ein tutututuuu, tutututuuu, war das so ein Paukenschlag von England her und dann hat er da gesessen mit dem Ohr ganz nah am Radio. 'Dass du mir ja ruhig bist!' hat er zu mir gesagt. Und ich war ruhig, habe nichts gesagt. Und die haben immer gebracht, wie weit die Russen wieder vor sind. Und was er gemacht hatte? Er hatte eine Karte von Russland und hat mit Stecknadeln immer wieder zurückgesteckt da, als die Engländer genannt haben. Das war mein Vater. Aber direkt über Politik wirklich haben wir eigentlich weniger gesprochen. Ich wusste, er ist Sozialdemokrat. Das war für mich in Ordnung und darüber habe ich den Mund gehalten in dieser Zeit. Er war ja mein Vater. "

  • "Aber durch solche Leute sind wir auch aus den Häusern herausgetrieben worden. Ich bin lediglich mit einer Aktentasche (gegangen), mehr hatte ich nicht, so sind wir rausgetrieben worden. Sie waren in russischen Uniformen, russische MP hatten sie dabei. Und wir hatten allerdings schon, das ist Stadtviertel für Stadtviertel vor, dann hat man es schon gehört gehabt vorher. Na da hat man schon eine Tasche gepackt gehabt usw, die hat man halt genommen und ist in die Aufstellung rein und sind ins Lager getrieben worden. Ich will jetzt nicht irgendwie da böse sein oder irgendwas sagen. Wir waren da in der Stadt und das war dann vor dem Troppauer Hotel, Slezský Domov heisst es heute. Da standen wir so in so Hunderten, waren mindestens fünf Hundert Leute in der Kolonne. Und dann hat dieser Anführer erstmal gesagt: 'Halt, stehen bleiben!' Und dann mussten wir laut schreien: 'Hitler ist ein Schwein!' und wenn wir nicht laut genug geschrieen haben, dann hatte er so die Maschinenpistole in der Hand gehabt, hat sie so geschwungen und immer wenn er sie oben hatte, brrrrt sie ein Paar Schuss raus. Naja, wir mussten das machen. Dann mussten wir von Slezský Domov, von diesem Hotel, bis runter ins Troppauer Lager, das werden etwa so fast zwei Kilometer gewesen sein. Und dann hat er verlangt, dass wir alle singen 'Deutschland Deutschland über alles!' Und wenn wir fertig waren, mussten wir wieder anfangen bis ins Lager rein."

  • "Wir mussten uns sofort melden am Národní výbor und sind dann zur Arbeit eingeteilt worden. Und wir Buben mussten dann, da Jägerndorf Frontstadt war, waren alle Strassen mit Panzersperren zugemacht und dann haben wie Buben diese Panzersperren wegräumen müssen. Da haben wir eine beim Bahnhof weggeräumt. Und wie die fertig war, hat man uns in die Friedhofgasse geschickt und da stand schon ein Zettel dran: Vorsicht, Minen! Dann sind wir erstmal nicht drann, da ist einer von deutschem Militär, deutscher Feuerwehr, gekommen. Der hat ausgebaut, was er gesehen hat. 'So, jetzt könnt ihr getröst arbeiten', hat er gesagt. Und wir haben die eine Seite, die war nur mit Balken zugezogen, haben wir weggeschafft und der letzte Balken liegt da, und die packen an und ziehen weg und da war noch eine Mine da. Die haben sie eingegraben. Ich weiss nicht, wo die war, jedenfalls ist diese Mine hochgegangen und da war ein Schulkollege von mir, der stand anderthalb Meter rechts von mir, wie wir jetzt bei Korona, der war tot auf der Stelle. Mein bester Freund, der war einundhalb Jahr jünger wie ich, dem waren alle beiden Augen draussen, der war blind. Federmann hat ein Auge draussen gehabt und alle, die dabei waren, hatten irgendein Splitter im Bauch, in die Beine... Und ich war einer jener, das kann ich heute noch nicht verstehen und ich habe es schon x-mal erzählt, ich war einer jener, die am nähesten an der Explosionsstelle dabei gestanden waren und mir ist nichts passiert. Ein kleines Splitterchen, so viel wie ein Stecknadelkopf, habe ich noch im rechten Knie."

  • "Ich hatte aber, das muss ich jetzt einschränken, das Glück, dass ich da zumal mit sechzehn Jahren schon eine Sanitätsausbildung hatte. Und dann hat man mir für dieses ganze Lager, das war ungefähr hundert sechzig Buben, die Sanitätsstube anvertraut. Und ich musste für die um Gesundheitliches sorgen. Und nicht allein das. Wie waren da auf einer Burg gelegen und unten im Ort, zu der Zeit sind von den Russen ja viele geflüchtet, von Osten her, und da lag der ganze Saal des Gasthauses voll von solchen geflüchteten Menschen. Und der nächste Arzt war elf Kilometer entfernt ohne Autobusverbindung. Und dann hat man mich, sechzehnjährigen, dazu noch verpflichtet, mich um diese Leute zu kümmern. Und ich sage immer scherzhaft, die haben alle zu mir mit sechzehn Jahren Herr Doktor gesagt und ich habe es mir gefallen lassen. () Also ich habe immer versucht in meinem Leben, wenn ich so zurückdenke, Menschen in irgendeine Weise immer wieder zu helfen und das ist so meine Einstellung. Aber ich möchte immer wieder zurückkommen auf meine Pflegeeltern. Das ist eine Erziehung, die mir diese beiden Pflegeeltern beigebracht und vorgesetzt haben. Den Menschen und den anderen nicht zu verachten oder zu verungünsten, jedenfalls dass man Menschen helfen muss."

  • Full recordings
  • 1

    Pegnitz, SRN, 12.07.2020

    (audio)
    duration: 01:47:54
    media recorded in project The Removed Memory
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Hätte es damals eine andere Politik gegeben, könnten wir zusammen etwas geschafft haben

Kurt Hein, Pegnitz, 2020
Kurt Hein, Pegnitz, 2020
photo: Natáčení

Kurt Hein wurde am 29. Januar 1929 in Jägerndorf (Krnov) als einziger Sohn von Ida und Julius Hein geboren. Der Vater war vor dem Krieg Sozialdemokrat. Beide Eltern arbeiteten in Textilfabriken und in der Woche kümmerten sich ab seinem sechsten Lebensmonat bis zum zehnten Lebensjahr Pflegeeltern um Kurt. In Jägerndorf ging er zur Grund- und Mittelschule, bis er mit sechzehn Jahren zum Kriegseinsatz in ein Lager in Heindorf (Hejnov) abkommandiert wurde. Dort war er bis Kriegsende als Sanitäter tätig. Nach dem Krieg wurde er in Jägerndorf zur Entfernung von Panzerabwehrsperren eingeteilt. Dabei überlebte er eine Minenexplosion. Ende Juni 1945 wurde die Familie aus dem Haus vertrieben und bis zum 1. April 1946 lebten sie in drei Jägerndorfer Internierungslagern für Deutsche, zunächst in der Troppauer Strasse und zuletzt in dem „Priviligierten“-Lager für deutsche Antifaschisten in dem Türmitzer Viertel. Aus dem letzten, Burgberg Lager kamen sie per Transport nach Bayreuth und anschließend in die bayrische Stadt Pegnitz. Sie ließen sich im nahen Dorf Bronn nieder. Er wurde Kunstschlosser und arbeitete die längste Zeit in einer Teppichfabrik, wo er auch als Gewerkschaftsführer aktiv tätig war. Mit seiner Frau bekam er zwei Kinder. Erst mehr als dreißig Jahre nach der Vertreibung begann er in die Heimat zu fahren. In Tschechien hat er viele Freundschaften geschlossen