Thomas Thun

* 1949

  • „Präsident Havel hat gesagt: Ihr Vertrieben könnt gerne zurückkommen und an der Restitution teilnehmen, aber ihr müsst mit dem ganzen Vermögen kommen, ihr müsst dort euren Hauptwohnsitz haben, die tschechische Staatsbürgerschaft annehmen und ihr müsst euch mit dem Land identifizieren und für unser Land in unserem Land arbeiten. Franz Neubauer hat ihm scheinbar geantwortet: das ist ein großzügiges Angebot, aber Herr Präsident, sie müssten auch die ganzen Rentenansprüche der Vertriebenen übernehmen und das war dem Havel offenbar zu viel. Also wir haben verstanden, dass da nichts wird. Wie gesagt, ich habe den Brief dem tschechischen Botschafter Jiří Gruša geschrieben, weil Franz Neubauer, wie es um Renten für Auschwitz-Überlebende tschechische Juden ging, gesagt hat, wir sind bereit für Diese nur dann Renten zu zahlen, wenn von der tschechischen Seite auch für die Vertriebenen etwas gezahlt wird. Ich habe empfunden, so kann man das nicht machen. Man kann nicht noch lebende Leute, die im KZ gelitten haben, die Rentenzahlung davon abhängig machen, dass man selber was kriegt. Und ich habe mich zuerst beim Gruša für diesen Landsmann entschuldigt und dann im zweiten Teil des Briefes habe ich gesagt, ich würde jetzt aus Protest so lange 100 DM im Monat bezahlen, bis die Deutschen also diesen KZ-Überlebenden die Rente zahlen."

  • „Wie gesagt im Jahr 1919 war die Welt zu Ende, aber der Urgroßvater Jaroslav war ein großer Realist und der hat also dem Onkel Ernst, seinem jüngeren Sohn, wie es um die Frage ging, ob der zum tschechischen Militär gehen soll, gesagt: selbstverständlich gehst du zu Militär. Die neue Obrigkeit freut uns zwar nicht, aber wie es in der Bibel heißt - gib dem Kaiser, was des Kaisers ist- also, das ist jetzt unsere Obrigkeit und natürlich gehst du zu Militär. Und mein Großvater konnte optieren, ob er in der tschechischen Armee Reserveoffizier wird, das hat er gemacht und er ist ja auch 1938 eingezogen worden, wie Mobilmachung war - mein Großvater und der Onkel Ernst. Onkel Ernst war ja sehr aktiv in der Armee. Der hat irgendwie eine motorisierte Truppe kommandiert und das war eine sehr komische Geschichte, weil er bei der Mobilmachung in der Früh um 5 Uhr oder was am Waldsteinplatz in Prag seine Leute antreten lassen hat und dann wurden Kommandos gebrüllt und dann ist oben im Palais Waldstein ein Fenster aufgegangen und diese alte Tante, ich habe vergessen, wie sie geheißen hat, hat herausgeschrien: Ihr Saububen, warum macht ihr so einen Krach in der Früh, und da hat der Onkel seinen Adjutanten hinauf geschickt um die Tante zu beruhigen… Na ja, also Mein Gott, ich meine, wenn es damals Krieg gegeben hätte, dann hätten sie auf der böhmischen Seite gekämpft.“

  • „Abgesehen von den schrecklichen Erlebnissen unmittelbar beim Einmarsch der Russen…. da ist die Familie hinaufgegangen nach Christianenburg, in das kleine Jagdschlössl ganz nah von der sächsischen Grenze, und die Idee war irgendwie, dass die Russen es nicht finden werden und die haben das natürlich gleich gefunden. Und dann hat sich das abgespielt, was sich üblicherweise abgespielt hat, wenn junge Frauen im Hause waren, also das waren ganz schreckliche Erlebnisse. Aber danach, muss man wirklich sagen, ist es der Familie relativ gut gegangen. Gut, es waren die weißen Armbinden, es war Arbeitsdienst und schon die Tante Theresa, glaube ich mit Ihren 16 Jahren musste auch also Eisenbahnschienen schleppen, ich weiß nicht mehr, aber es war wirklich nicht extrem und es würde nicht geprügelt und so… man hat erzählt in der Familie das offenbar geholfen hat die Tatsache, dass ein Vetter meiner Großmutter Fanny der tschechische Botschafter in London war - ein Lobkowicz…“

  • „Mir fällt gerade noch ein zu vorher: mein Vater ist gestorben, wie er so alt war, wie ich jetzt bin, also 72. Wenn er länger gelebt hätte, dann hätte man mit ihm sehr gut und intensiv reden können. Er hat uns immer wieder gesagt: ,Macht es besser, wie wir! Wir sind damals der falschen Fahne nachgelaufen…‘ und er hat große Schuldgefühle gehabt, wenn es herauskam, was da alles gelaufen ist von der Judenvernichtung bis diese Wahnsinnstaten von der Wehrmacht im Osten, in der Ukraine, in Russland usw. Und mein Bruder hat mir erzählt, das wusste ich gar nicht, aber der hat das irgendwie mitgekriegt, dass er mit einem anderen Onkel Thun in einem Wallfahrtsort im bayerischen Schwaben einen Pfarrer aufgesucht hat und sie haben das mit dem besprochen. Also, es war also ein religiöser Versuch, sich allen diesen Schrecklichkeiten zu stellen und nicht einfach drüber hinwegzugehen…“

  • „Man musste natürlich sofort alle Gewehre abgeben und mein Großvater hat irgendwo ein Jagdgewehr vergessen und das war natürlich sehr gefährlich, weil das hätte man gleich irgendwie als Vorbereitung zum Partisanentum und ich weiß nicht was werten können. Und dann ist dieser Doktor Hoffmann, hatte er glaube ich geheißen, gekommen und dem hat mein Großer das gebeichtet, dass er das Gewehr gefunden hat. Der hat einen langen Mantel angezogen, das Gewehr unter den Mantel versteckt und ist damit abgezogen und wie gesagt, war sehr freundlich und verständnisvoll. Also etwas wirklich Schlimmes von tschechischer Seite haben die Großeltern nicht erlebt. Das Ganze ist in Tagebüchern auch festgelegt und eine Szene fällt mir ein, wie mein Großvater den Moment der Enteignung beschrieben hat. Weil er musste die Enteignungspapiere unterschreiben, und das hat ihn schon sehr mitgenommen, hatte er gesagt, das war schon ein schlimmer Moment, dass man nach so vielen Jahren in diesem Land, wo man doch auch versucht hat, also zur Entwicklung des Landes beizutragen, dass man wie man im Deutsch sagt, vom Hof gejagt wird.“

  • Full recordings
  • 1

    Munchen, Germany, 30.11.2021

    (audio)
    duration: 01:52:31
    media recorded in project Tschechisches Adel
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Es ist etwas Natürliches, nach seinen Wurzeln zu suchen

Thomas Thun, 2021
Thomas Thun, 2021
photo: natáčení

Thomas Thun, ein Nachfahre der Tetschener (Děčín) Adelsfamilie Thun-Hohenstein, wurde am 5. Oktober 1949 im bayerischen Eringen geboren. Sein Vater Christoph von Thun-Hohenstein stammte aus dem Schloss in Eulau bei Tetschen (Jílové u Děčína), das Kriegsende verbrachte er im Gefangenenlager in Bayern. Die Familie Thun versteckte sich nach Ende des Krieges erfolglos vor der sowjetischen Armee im Jagdschloss an der Grenze, sie wurden jedoch entdeckt. Im Frühling 1946 wurden sie in Viehtransportern in das Lager in Wiesau abgeschoben. Nach Böhmen kam Thomas zusammen mit seinem Vater und seinem Cousin erst im Jahr 1969 wieder zurück, später kamen sie wieder öfter. Er machte eine Ausbildung zum Psychotherapeuten, im Jahr 1980 heiratete er eine Adelige mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, Claudia von Dobhof. In den 1990er Jahren bemühte er sich um die Restitution seines Familieneigentums. Zum Zweck der deutsch-tschechischen Versöhnung schickte er monatlich einen Beitrag zur Unterstützung derjenigen, die die Konzentrationslager überlebten. Diese symbolische Geste schätzte Václav Havel und ludt ihn auf die Prager Burg ein. Heute engagiert sich Thomas Thun für die Erneuerung des Tetschener Schlosses und seines Archivs.