Walter Pilz

* 1932

  • "Aber die russischen Soldaten, die bei uns übernachtet haben, die haben selbst bei uns, außer dass sie Unordnung verbreitet haben, nichts mitgenommen. Die haben die Umgebung aufgesucht und haben dort geplündert. Ich habe das von den anderen Leuten auch gehört, die auch russische Einquartierung hatten. Bei den Leuten, bei denen sie sich einquartiert haben, da haben sie nichts mitgenommen. Sie haben nur die Umgebung aufgesucht und haben dort geplündert. Also ich weiß nicht, ob das mit russischer Gastfreundschaft oder was zu tun hat. Jedenfalls war es so. Diejenigen, die bei uns geplündert haben, und die also immer wieder Hausdurchsuchungen durchgeführt haben, das waren die tschechischen Partisanen, so haben sie sich jedenfalls genannt. Da hatten wir dann also über mehrere Wochen hinweg immer wieder jede Woche zwei drei mal Besuch von solchen Leuten, die dann also in der Wohnung umgeschaut haben, Schränke aufgemacht haben und nachgeschaut haben, ob sie irgendetwas finden, was sie mitnehmen könnten. Das haben sie dann mitgenommen ohne Skrupel und ohne alles. Also zum Beispiel habe ich mich also sehr geärgert, als einer der Partisanen meine Briefmarkensammlung sich unter der Arm geklemmt hat und gesagt hat: ´So, die ist sehr schön, die ist jetzt meine.´“

  • "Mein Vater war für uns verschwunden. Wir haben also von meinem Vater zwei Jahre später wieder etwas gehört und Kontakt mit ihm bekommen. Er war in der Zwischenzeit von den Russen nach Ratibor also nach Oberschlesien gebracht worden, war dort mehrere Monate in einem Gefängnis eingesperrt, ohne dass man irgendetwas mit ihm gemacht hätte. Man hat ihn also weder verhört offenbar noch hat man ihm, er war nicht der einzige, noch irgendwelche Strafen aufgebunden sondern man hat ihn einfach eingesperrt. Er ist dann also nach einigen Monaten entlassen worden, auch wieder ohne Begründung, und ist dann zu Fuss, hat versucht zu Fuss nach Hause zu marschieren, ist aber bis nach Troppau gekommen. In Troppau ist er dann von tschechischer Gendarmerie verhaftet worden und in Internierungslager gesteckt worden. In diesem Internierungslager ist er dann bis Ende 1946 gewesen und ist dann mit anderen dort Internierten nach Bayern ausgewiesen worden und wir haben von ihm erst dann im Jahr drauf, 1947, erfahren. Über Umwege, Bekannte, Freunde, mit denen man wieder Verbindung bekommen hatte, haben wir erfahren, wo er ist."

  • "Am 11. July 1945 stand morgens, standen zwei bewaffnete Milizionäre vor der Tür und haben uns gesagt, wir sollten bisschen was zusammenpacken, Verpflegung für drei Tage, bisschen Kleider und uns dann vor dem Haus aufzustellen. In einer Stunde mussten wir die Wohnung verlassen. Mitnehmen durften wir nichts außer Ausweispapiere, keine Sparbücher, keinen Schmuck, keine Wertgegenstände, nichts. Nur eben diese Verpflegung für drei Tage und einiges zum Anziehen und ein Gepäckstück für jede Person, entweder einen Koffer oder einen Rucksack, mehr nicht. Naja, das hat natürlich dazu geführt, dass meine Mutter total aufgelöst war und nicht wusste, was sie in der Eile alles einpacken soll. Denn man hat uns auch nach Nachfrage nicht gesagt, was uns später passieren soll. Wir wussten also absolut nichts, sind dann also nach einer Stunde unten vor der Tür gestanden. Die Wohnungen sollten abgesperrt werden, die Hausschlüssel sollten stecken gelassen werden. Das war alles. Dann standen wir. Wir standen dann den ganzen Tag vor dem Haus und erst am, mit aller Nachbarschaft natürlich, aus allen Häusern rund herum waren die Leute genauso rausgejagt worden. Am späten Nachmittag hat man uns dann aufgefordert, in die Gegend des Bahnhofs zu marschieren. Dort war eine Fabrik, zwar eine Spinnerei, Machold Fabrik. In dieser Fabrik gab es eine große Lagerhalle und dort wurden die ganzen Leute über Nacht versammelt. Wir haben also die Nacht dann in dieser Fabrikhalle zugebracht, mussten dort irgendeinen Ausweis abgeben, aus dem die Personalien hervorgingen, die wurden offensichtlich registriert. Wir bekamen dann die Ausweise im Laufe der Nacht wieder zurück. Am nächsten Morgen wurden wir dann also von dieser Halle hinausgetrieben und auf einen Vorplatz innerhalb der Fabrik wurde dann das Gepäck durchsucht und Leibesvisitationen vorgenommen und dann wurde alles noch mal durchgefilzt. Meiner Mutter hat man dann als letztes Schmuckstück, das sie noch besaß, ihren Ehering abgenommen und nachdem alle Leute durch diese Untersuchungsmethoden durch waren, wurden wir kolonnenweise zum Bahnhof transportiert, das heißt, unter Bewachung mussten wir zum Bahnhof marschieren. Auf dem Bahnhof stand ein langer Güterzug und zwar offene Wagons, Metallboden Bord, in denen offenbar vorher Kohle transportiert worden war. Denn auf dem Boden der Wagons stand noch fingerdick der Kohlestaub. Ich vermute mal, die waren alle aus dem Ostrava-Kohlerevier."

  • "Nachdem wir drinnen waren in den Wagons, durften wir den Rest des Tages, das passierte gegen Mittag, den Rest des Tages nicht mehr aus den Wagons raus. Also wir bekamen weder etwas zu Trinken, Wasser, nichts, konnten auch kein Wasser holen. Wir durften diese Wagons nicht mehr verlassen, bis gegen sechs Uhr abends. Also um 18 Uhr etwa hat sich der Zug dann in Bewegung gesetzt. Wir hatten also den ganzen Tag oder den ganzen halben Tag in dem prallen Sonnenschein in diesen Wagons zugebracht. Sie können sich also vorstellen, wie es den Leuten also gegangen ist. Der Zug ist dann wie gesagt gegen sechs Uhr abends losgefahren Richtung Olmütz. Das war also sozusagen der Abschied von unserer Stadt."

  • "Wir hatten dann ja alle, alle zusammen, keine blasse Ahnung, wo es hingeht, was man mit uns vor hat. Die Gerüchteküche hat natürlich gekocht. Es hieß, wir kommen also ins Innere nach Mähren zu den Bauern vielleicht, zu Erntearbeit. Andere haben gesagt, ach wo, die fahren uns nach Russland nach Sibirien. Also die Gerüchteküche war sehr am Kochen. Keiner hat gewusst, was mit uns passiert. Als wir durch Olmütz durch waren, wurde es langsam finster in dem Zug, wir konnten nicht im Grunde genommen genau feststellen, in welche Richtung wir fahren. Wir haben dann also versucht anhand der Ortsschilder, wenn wir durch einen Bahnhof fuhren, anhand der Ortsschilder festzustellen, in welche Richtung wir überhaupt fahren. Aber nachdem wir ja dann durch Mähren und dann später durch Böhmen fuhren, waren das alles tschechische Ortschaften, relativ kleine Ortschaften, die wir alle nicht kannten. Deshalb war die Orientierung nach wie vor sehr schlecht. Erst gegen Morgen, als wir dann nach Sonnenaufgang feststellen konnten, in welche Himmelsrichtung wir uns jetzt bewegen, haben wir festgestellt, dass wir nicht nach Süden und nicht nach Osten fahren, sondern dass wir nach Westen fahren. Und da hat es dann langsam angefangen zu dämmern, dass man uns vielleicht nach Deutschland abschiebt. Gewiss geworden ist es dann aber gegen Abend, wir sind nämlich den ganzen Tag durch Böhmen gefahren, wir sind nördlich von Prag vorbeigefahren, sind also nicht über Prag gekommen. Das, was uns wieder bekannt vorkam, war die Elbe bei Leitmeritz. Leitmeritz, dann Aussig, Tetschen-Bodenbach. Und als wir dort entlang fuhren, an der Elbe entlang Richtung Norden, da war uns dann klar, man schafft uns nach Deutschland."

  • "Die beiden Milizionäre oder Partisanen, wie auch immer, die uns also aufgefordert haben, das Haus zu verlassen, haben angeordnet, dass wir beim Verlassen des Hauses, die Eingangstür zusperren müssen aber die Schlüssel stecken lassen müssen, damit also jederzeit wieder jemand rein kann. Wir hatten natürlich mehrere Hausschlüssel und wir haben das natürlich gemacht, sonst hätten wir uns irgendwelchen Repressalien ausgesetzt, aber einen Bund Schlüssel, den habe ich also in meiner Hosentasche vergraben und den habe ich also bei der Vertreibung mit aus der Tschechoslowakei herausgeschmuggelt, wenn ich mal so sagen darf, und den besitze ich heute noch als Andenken."

  • Full recordings
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    Dresden, Německo, 17.06.2021

    (audio)
    duration: 01:45:09
    media recorded in project The Removed Memory
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Lasst uns aus den Fehlern der Kriegs- und Nachkriegsjahre lernen

Walter Pilz, Dresden, 2021
Walter Pilz, Dresden, 2021
photo: Natáčení

Walter Pilz wurde am 12. Juni 1932 in einem damals fast vollständig deutschen Dorf namens Freudenthal (Bruntál) geboren. Die Eltern betrieben einen Tante-Emma-Laden und hatten noch eine weitere Tochter. Tschechisch konnte in der Familie niemand. Der Vater Adolf kämpfte für die österreichische Armee während des Ersten Weltkrieges und war Mitglied der Sudetendeutschen Partei, er wurde im Jahr 1938 auch für kurze Zeit durch tschechoslowakische Behörden gefangengehalten (nach dem Weltkrieg wieder). Die Großeltern mütterlicherseits kamen in Konflikte mit der Politik des Dritten Reiches, sie wurde im Jahr 1944 von der Gestapo festgehalten, was nur die Großmutter überlebt hatte. Diese blieb schließlich in der Freudenthaler Wohnung zusammen mit Walter, seiner Mutter und seiner Schwester bis zur Vertreibung am 11. Juli 1945. Im Rahmen der sogenannten wilden Vertreibung wurden sie in einem Zug in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands transportiert, dort ließen sie sich beim Onkel in der Gemeinde Mücheln in Sachsen-Anhalt nieder. Nach dem Abschluss des Gymnasiums begann Walter ein Hochschulstudium der Physik und Mathematik an der Universität Halle. Im Jahr 1952 ging er im Rahmen der Familienzusammenschlüsse in das bayerische München, wo er das Physikstudium beendete und sich dauerhaft niederließ. Er heiratete Astrid, eine Deutsche, die aus Aussig an der Elbe vertrieben worden war. Zusammen haben sie eine Tochter. In den 1970er Jahren begann er das heimische Freudenthal zu besuchen. Auch seine Enkelkinder bringt er immer wieder in seine alte Heimat, in sein Geburtshaus kehrte er nie wieder zurück. Die Schlüssel davon hat er aber immer noch gut bei sich aufbewahrt.