Ewald Pechwitz

* 1938

  • "Irgendwann war das Ende abzusehen gewesen und ich weiβ, dass an den Dielenbrättern manche da Sachen versteckt haben, Wertsachen und Geld. Ich habe Vewandte da bei Freigenberg und die waren voriges Jahr - die Kinder von dennen - waren in Prag gewesen und auf der Heimfahrt haben sie ihren Groβelternhaus nochmal sehen wollen. Und die Leute, die haben sie gleich empfangen und haben gesagt, sie warten schon darauf, dass jemand kommt. Und haben ihnen was übergeben, was sie bei Umbauarbeiten endeckt haben und es war so eine Schatulle und da war Geld drinnen und zwar waren das Reichsmark und Rentenmark. Das waren beides gesetzliches Zahlungsmittel bis 1948 auch hier in Deutschland."

  • "Es stand in dem Schreiben, oder in der Bekanntmachung, dass man früh um fünf woher antreten soll. Es stand auch drinnen, dass jede Zuwiderhandlung mit Konzentrationslager bestraft wird und es ist fast der Todesurteil gewesen. Also das hat sich keiner getraut, aber es hat viele alte Leute gegeben, die waren so erschüttert, dass sich damals viele umgebracht haben. Also in der entfernten Verwandtschaft weiβ ich, es hat sich ein Altbauer aufgehängt. Also die wollten nicht mehr fort."

  • "Einige kurze Zeit vor der Vertreibung, also gleich kurz nach Kriegsende, mussten wir uns also mindestens einmal die ganze Bevӧlkerung am Marktplatz versammeln in Graber und mussten zuschauen, wie sie die ehemaligen Parteimitglieder und Funktionäre brutal misshandelt haben. Da mussten alle zuschauen und auch die Kinder. Ich war mit meiner Mutter da und ich war natürlich neugierig, was sich da abspielt, weil da so viele Leute waren. Alle haben geschaut und ich wollte von meiner Mutter auf den Arm genommen werden, damit ich auch was sehe. Also da sind schlimme Sachen passiert, die haben zum Beispiel einen Ortsbauern, den haben sie an den Füβen verkehrt um aufgehängt und haben ihn hängen lassen oder angeblich mussten auch die eigenen Verwandten diese Beschuldigten verprügeln und wenn die nicht zugeschlagen haben, dann haben sie auch verprügelt. Und die Leute wurden sehr oft wegen Nichtigkeiten fast totgeschlagen. Bei einem Bauern haben sie Wehrmachtsdecken gefunden auf seinem Grundstück, weil sie gedacht haben, die hätten Deutsche versteckt gehabt. Oder vor allem, wenn Waffen gefunden wurden auf dem Grundstück, das war praktisch der Todesurteil für den jenigen."

  • "Ich kam mit meinen Kameraden von der Schule und eines Tages kam uns ein Mann, ein fremder Mann, entgegen und er führte meine Schwester an der Hand, die ja zwei Jahre jünger war. Und ich habe den natürlich nicht gekannt und wir haben „Guten Tag“ gesagt und wollten weiter gehen. Dann hat sich herausgestellt, dass es mein Vater war, den wir schon lange erwartet hatten. Und es war dann, nach den Unterlagen, die ich gefunden habe, war es in März 1946, wenn der auf uns gestossen ist."

  • "Man hatte ganz wenig Zeit um seine Sachen zu packen. Man durfte fast nur das mitnehmen, was man tragen konnte. Schmuck und Wertgegenstände musste man sowieso alles weglassen, die Leute durfen keine Musikinstrumente mitnehmen. Und dann, an der Grenze, ist dann nochmal alles kontrolliert worden, das Gepäck. Und wenn jemand noch Schmuck an sich hatte, ist es ihm noch abgenommen worden. Den Ehefrauen haben sie Eheringe abgenommen und was noch irgendwie diesen Kontroleuren als brauchbar erschien, wurde noch abgenommen."

  • Full recordings
  • 1

    Pegnitz, SRN, 13.07.2020

    (audio)
    duration: 01:14:01
    media recorded in project The Removed Memory
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Wir alle mussten mit ansehen, wie man auf dem Marktplatz in Graber die ehemaligen Nazis misshandelt

Ewald Pechwitz, Pegnitz, 2020
Ewald Pechwitz, Pegnitz, 2020
photo: Natáčení

Ewald Pechwitz kam am 25. Dezember 1938 in Graber im Kreis Böhmisch Leipa (Kravaře, Česká Lípa) in der Familie vom Maschinenschlosser Ernst Pechwitz und seiner Gattin Hilde, die bis zur Hochzeit auf dem Familienhof gearbeitet hatte, zur Welt. Er wuchs in einer damals ausschließlich deutschsprachigen Gegend auf. Als sich 1938 die Tschechen mobilisierten, versteckten sich der Vater und die Nachbarn in der Mühle, um im November 1938 zur Wehrmacht zu gehen. Der Vater war in der Aufklärungsabteilung und wurde u.a. in Frankreich, der Ukraine, Rumänien und Russland eingesetzt. Am Ende des Krieges fiel er in amerikanische Gefangenschaft. Nach der Freilassung wusste er nichts über den Verbleib der Familie und zog der Arbeit hinterher. Nach Kriegsende kam es in Graber auf dem Platz mindestens einmal öffentlich zur Lynchjustiz ehemaliger Mitglieder und Funktionäre der NSDAP, der die ganze Stadt, einschließlich des kleinen Ewalds, beiwohnen musste. Familie Pechwitz geriet danach in die erste Welle der sog. wilden Vertreibung. Sie mussten praktisch über Nacht packen und nur mit Handgepäck unter Aufsicht von tschechoslowakischen Soldaten in Lager in Sachsen marschieren. Nach der Bombardierung von Dresden waren die Lager überfüllt, unterversorgt mit Essen und nur mit Strohlagern zum Schlafen. Am Ende wurde die Familie in der Nähe von Weimar angesiedelt. Im März 1946 fand der Vater sie, der die Familie nach Bayern mitnahm, wo Ewald Pechwitz studierte, sich eine eigene Autowerkstatt einrichtete, heiratete und eine Tochter bekam. Seinen Geburtsort Graber besuchte er schon im Kommunismus. Bis heute kehrt er regelmäßig zurück und lernt Tschechisch. Es freut ihn, dass sich die gegenwärtigen Eigentümer gut um sein Geburtshaus kümmern, und er ist mit ihnen in freundschaftlichem Kontakt.