Professor, Dr. Peter Linhart

* 1938

  • "Meine Eltern haben uns ein heft gegeben, wo sie jeden Tag eine Seite tschechische Wӧrter geschrieben haben, die wir auswendig lernen mussten. Und so hat man tschechisch gelernt. Als Kind lernt man schneller, ich muss ganz normal tschechisch gesprochen haben. Ich erinnere mich nämlich, nicht lang bevor wir ausgesiedelt wurden, waren wir im Kino mit der Klasse, ich sass neben meiner Lehrerin. Wir haben uns ein bisschen privat unterhalten und ich sagte: Ende Juni werden wir ausgesiedelt. Sie sagte: Was, ihr werdet ausgesiedelt? Ich dachte, ihr werdet um die tschechische Staatsbürgerschaft ansuchen! Und es wäre für meinen Vater mӧglich gewesen. Er hat das Forstamt noch weitergeleitet, die tschechischen Kollegen, die kamen, waren seine Studiumkollegen und die kannten sich im Erzgebirge nicht aus. Aber mein vater hat gesagt: nein, wir müssen im grossen Haufen bleiben und die Leidensgeschichte mitmachen."

  • "Der Termin wurde festgelegt, es war der 27. Juni 1946. Der Forstamt hatte die Pferde und die Fahrwerke, also ein grosser Pferdewagen gepackt wurde, bis oben. Meine Mutter hat viel mehr mitgepackt, als wir eigentlich mitnehmen durften. Wir durften als Gruppe nur 50 kg mitnehmen. Dann haben meine Eltern überwiegend die Sachen in Säcke getan, weil dann haben wir das Gewicht der Kisten nicht mitgazahlt, wir hatten Reiskorb, wie man das nannte, aus Wiedenzweigen, vierecking und konnte geschlossen werden, da sind Sachen gekommen, die zerbrechlich waren. Und diese Pferde waren bis oben geladen und oben lag noch unser Rodelschlitten und es war unser Stolz. Und diese Rodel, das war das erste, was sie uns im Lager genommen haben."

  • "Mein Vater hatte eine tschechische Uniform als Oberleutnant gepackt. Es musste alles aufgemacht werden und dann ist der Wache auf diese Uniform gestossen. Da hat mein Vater sie ihm geschenkt. Er hat sich sehr gefreut, er hatte auch eine ungefärbte SS Uniform und so hatte er endlich eine richtige tschechische Uniform."

  • "In die dritte Klasse wollte ich in Thalkirchdorf und da war der Hauptgegner der Pfarrer. Das ist ganz interessant, hӧŕt man von Anderen auch. Die Pfarrer waren konservativ und wir kamen als Flüchtlinge rein, als Fremde und er wollte besonders daran achten, dass seine Gemeinde homogän bleibt. Mein Vater ist am ersten, zweiten Tag, als wir da waren, zum Pfarrer gegangen und wollte sich da vorstellen. Und er machte die Tür auf: „Nein, ich habe schon Flüchtlinge, ich brauche keine Flüchtlinge!“ Es war also die Begrüssung durch den Ortspfarrer. Und der Pfarrer war also dagegen, dass ich in die dritte Klasse komme."

  • Full recordings
  • 1

    Dresden, Německo, 16.06.2021

    (audio)
    duration: 01:57:55
    media recorded in project Inconvenient Mobility
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Nach der Ankunft in Deutschland entschied Vater, dass wir kein einziges Wort mehr auf Tschechisch sagen werden

Peter Linhart als Junge in Neudeck
Peter Linhart als Junge in Neudeck
photo: pamětník

Peter Linhart wurde am 19. April 1938 in Dobrsan/ Wiesengrund (Dobřany u Plzně) geboren. Seine Eltern sind Friedrich und Angela Linhart. Bis zu seinem achten Lebensjahr lebte er in Neudek im Erzgebirge (Nejdek v Krušných horách), wo sein Vater als Forstmeister arbeitete. Die Mutter studierte Medizin, aufgrund der Ehe beendete sie jedoch das Studium nicht. Der Vater, Oberleutnant der tschechoslowakischen Armee, mobilisierte sich im Jahr 1938, was unter Deutschböhmen eindeutig nicht gängig war. Während des Krieges lehnte dieser die aktive Zusammenarbeit mit dem vorherrschenden Regime ab und wurde an die Front abkommandiert. Die Nachkriegszeit verbindet der Zeitzeuge mit einer Zeit der Angst, wo das Leben der Deutschböhmen durch verschiedene Verbote und Anweisungen geprägt war. Peter besuchte nach dem Krieg eine tschechische Schule, der Vater konnte fließend Tschechisch und hatte durch seine wichtige Arbeitsstelle in Neudek große Chancen, die tschechische Staatsbürgerschaft zu erhalten, hatte diese jedoch nicht beantragt. Er entschied sich, das Schicksal der anderen Deutschböhmen zu tragen und so wurde die Familie am 27. Juni 1946 nach Deutschland ausgesiedelt. Von da an sprach der Vater kein Wort Tschechisch mehr. Peter Linhart studierte Medizin und arbeitete unter anderem in den USA in einem Krankenhaus eines armen Viertels. Er heiratete und hat drei Kinder. Heute bedauert er es, dass bei ihm zu Hause kein Tschechisch mehr gesprochen wurde. Durch das große Interesse der jungen tschechischen Generation an den Fragen nach der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, blickt er hoffnungsvoll auf eine friedliche Versöhnung zwischen den beiden Ländern.