Maria Hartung

* 1936

  • "Wir haben an der Grenze gewohnt, hier war Tschechien und da war Sechsen. Und da haben wir ein Bisschen gepascht. Meine Mutter hat mir ein Bisschen Bettwasche um meinen Leib gebunden und dann bin ich rübergegangen zu meiner Tante und habe es da abgegeben. Und später konnten wir das wieder abholen. Bettwäsche und so, was das Nötigste war. (...) So oft konnte man das auch nicht, da waren ja an der Grenze die Russen. Und ich war Kind und die haben sie eher so durchgelassen."

  • "Und dann sind wir nach Eger, ins Durchgangslager, und da hat mit meine Mutter noch den Geigenkasten von meinem Vater gegeben in die Hand, hat gesagt – lasst dir den nicht abnehmen, und dann hat sie mir noch eine Tasche gegeben und in die Tasche hat sie oben eine Puppe reingesetzt und die hat sie mir in die Hand gedrückt und die Geige und wir mussten dann durch die Kontrolle und da hat der eine Tscheche gesagt halllo, hallo, hallo. Und ich bin gelaufen, gelaufen, gelaufen, und ich habe mich nicht herumgedreht und gottseidank hatte ich die geige von meinem Vater. Der war ja Musiklehrer, der hat die Geige gebraucht. Und meine Puppe hatte ich auch noch. Und ich war glücklich. Meine Mutter war auch glücklich, dass das alles so geklappt hat."

  • "Da hatte meine Schwester keine Ruhe. Ich muss nach Hause zu meiner Mutter und zu meinen Schwestern! Ich war damals neun Jahre alt. Und dann ist sie heimgelaufen, von ihrem Bauernhof, wo sie ihren Pflichtjahr machen musste. Unterwegs waren noch Tiefflieger. Sie ist gerannt und gerannt, hat gesagt ihr musst ins Keller runter, hatte noch die betten runtergetragen in Keller, und ich hatte so eine Angst, hatte mich in eine Ecken reingedrängt in den Luftschutzkeller und bin nicht mehr rausgegangen. Und weil dann eben ein Bisschen Feuerpause war, da sind einige Bewohner mal rausgegangen, haben geguckt, was da los war draußen. Und in diesem Moment haben die Amerikaner reingeschossen. Und es war ganz schlimm. Meine Schwester hat gejammert, Mutter hat gesagt, ich habe sie noch im Arm gehalten und vor dem Haus da ist sie zusammengebrochen. Es war schlimm. Und die haben sie dann in die Waschköge getragen, die Toten. Und da sind sie verstorben."

  • Full recordings
  • 1

    Plesná, 04.09.2022

    (audio)
    duration: 01:26:26
    media recorded in project The Removed Memory
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Es war schön zu Hause, das kann man nicht vergessen!

Maria Hartung, Plesná 2022
Maria Hartung, Plesná 2022
photo: natáčení

Maria Hartung wurde in Fleissen (Plesná) bei Franzensbad (Františkovy Lázně) in die Familie des Musiklehrers und Amateur-Musikwissenschaftlers Emanuel Böhnisch geboren. In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs wurde Plesná als deutsche Stadt von der amerikanischen Armee beschossen, und auch ihre ältere Schwester Heidi fiel dem Beschuss zum Opfer. Als nach dem Krieg Gerüchte aufkamen, dass die deutsche Bevölkerung aus der Tschechoslowakei vertrieben werden sollte, schickte ihre Mutter die kleine Maria über die Grenze, um Wäsche und kleine Besitztümer zu schmuggeln. Als Kind kam sie unkontrolliert durch ein nahe gelegenes Zollamt, die geschmuggelten spärlichen Habseligkeiten wurden bei Verwandten deponiert. Obwohl Herr Böhnisch Tschechisch sprechen konnte und als Lehrer in der Tschechoslowakei hätte bleiben können, wurde die Familie im Frühjahr 1946 nach Deutschland deportiert. Sie landeten schließlich in Eichenzell, Franken, wo Herr Böhnisch seinem Hobby, der Erhaltung der ursprünglichen Volksmusik des Egerlandes, weiter nachging. Die tschechoslowakischen Behörden erlaubten Frau Hartung erst zwanzig Jahre nach dem Krieg, Mitte der 1960er Jahre, ihren Geburtsort zum ersten Mal zu besuchen. Im September 2022 folgte Frau Hartung einer Einladung des Bürgermeisters von Plesná und gab ein Interview für das Gedächtnis der Nation im entstehenden Museum der tschechisch-deutschen Beziehungen in Plesná.