Hans-Günter Grech

* 1942

  • "Ich weiß, dass sie am meisten gelitten haben, so wie alle anderen, an dem Verlust der Heimat und an dem Verlust dieses Lebens. Noch dazu, wo die ersten Wochen, Monate und Jahre in Österreich beziehungsweise Deutschland ja auch kein Honiglecken waren, sondern harte Zeiten für meine Eltern und vor allem auch für die Großeltern. Am meisten haben die gelitten, weil sie auf einmal in einer Lage waren, in der sie sich als unnütze Esser fühlten und noch dazu angefeindet wurden von Nachbarn oder von denen, die das nicht verstehen konnten, dass es Leute gibt, die auf einmal alles verloren hatten und jetzt noch dazu nicht mehr im Arbeitsprozess eingesetzt werden konnten. Und die haben am meisten gelitten."

  • "Ich habe ja nur die Erzählungen meiner Eltern gehört. Für mich war und nicht nur für mich, sondern auch für meinen Bruder und meine Schwester, das war das Paradies da drüben, da haben Milch und Honig geflossen und da ging es allen gut und es war das Paradies. Und dann kamen wir hinüber. Wir haben auch in Österreich kein Paradies gehabt. Aber da drüben, das war ja noch viel ärger. Es war ja überhaupt, da waren... Jedes zweite Haus war beschädigt oder es wurde geschleift um die Ziegel für das eigene Haus zu bekommen. Also wenn ein Haus nicht mehr bewohnt war, dann ist es sofort benützt worden als Baumaterial für andere und so schauten die Ortschaften aus. Die Straßen waren fast nicht asphaltiert. Die Verbindungsstraßen, die waren ja komplett nur mehr Fleckerlteppiche. Also es war für uns... Und da hab ich mir auch einmal erlaubt zu sagen – ihr erzählt uns, wie schön es da drüben ist. Und dann hab ich irgendein Wort gebracht, da war mein Vater sehr böse auf mich, dass ich die Heimat so gesehen habe. Als er mit mir zum ersten Mal hinübergefahren ist, zu Silvester 1989, nebliges Wetter, ein bisschen eisig war es, sind wir drüben, bin ich mit ihm durch Klentnitz gefahren, durch Nikolsburg. Und er war ein bisschen still. Aber er hat eigentlich nur zustimmende Kommentare gegeben, so quasi – also schau, wie schön der Ausblick hier und ich hab mir gedacht – na ja, jetzt weiß ich nicht. Und dann sind wir am Abend zurück, in unserer Ortschaft, wir waren noch im letzten Eck der Welt. Und das kam dann aus ihm heraus – was haben die aus unserer Heimat gemacht?"

  • "Allerdings war auch wieder ein Teil dagegen, unter dem Titel – zuerst haben sie uns rausgeschmissen, und jetzt sollen wir da wieder helfen. Aber mein Vorgänger war Gott sei Dank so stark und kräftig, dass er das ausgehalten hat und gesagt hat – das ist unsere Kultur, die da drüben. Und wenn das unsere Kultur ist, dann haben wir auch wirklich die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, uns darum zu kümmern – noch dazu, wo wir sehen, dass da auch von der anderen Seite starkes Entgegenkommen herrscht. Denn die meisten Bürgermeister haben gesehen – hier passiert etwas, was auch der Ortschaft zugutekommt, aus diesem trostlosen Dasein ein bisschen etwas zu machen. Und ich muss sagen, das war schon in Ordnung so, und das ist auch eine unserer nach wie vor Hauptaufgaben. Es werden auch immer mehr Veranstaltungen herüber in der alten Heimat stattfinden, mit dem Priester von hier, mit unseren ehemaligen Heimatpriestern. Also hier wächst wieder das zusammen, was eigentlich immer zusammengehört hätte, wenn es den Nationalismus nicht gegeben hätte."

  • Full recordings
  • 1

    Mikulov, 30.08.2025

    (audio)
    duration: 01:36:58
    media recorded in project Living Memory of the Borderlands
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Die Heimat ist ein Stück vom Paradies

H.-G. Grech 1954
H.-G. Grech 1954
photo: archiv pamětníka

Hans-Günter Grech wurde am 22. Dezember 1942 in Nikolsburg in eine deutsche Familie geboren. Sein Vater Viktor Grech wuchs im nahe gelegenen Klentnitz auf, wo seine Familie ein Hotel mit Gastwirtschaft betrieb, und seine Mutter, Marie Stumvoll, stammte direkt aus Nikolsburg. Noch vor dem Krieg heirateten seine Eltern und eröffneten auf dem Marktplatz von Nikolsburg einen Lebensmittelgroßhandel. Der Vater verbrachte den gesamten Krieg in der deutschen Armee, kam aber gelegentlich nach Hause, und während dieser sechs Kriegsjahre kamen drei Kinder zur Familie hinzu, von denen Hans-Günter das mittlere war. 1945 floh die Mutter mit den Kindern vor der vorrückenden sowjetischen Armee nach Österreich, und einige Monate später kam der Vater nach. In den folgenden Jahren zogen sie von einem Dorf zum nächsten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ein dauerhaftes Zuhause zu finden. Nachdem sie ihren gesamten Besitz in Südmähren zurücklassen mussten, fingen sie praktisch bei Null an. Die Hoffnung, jemals in ihre Heimat zurückkehren zu können, schwand allmählich. Trotz der angespannten finanziellen Lage gelang es Hans-Günter Grech, ein Wirtschaftsstudium in Wien zu absolvieren. Von 1967 bis 1991 arbeitete er als Administrationsleiter einer Vertriebsabteilung bei IBM und anschließend bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2005 in einer ähnlichen Position bei Lexmark. Im Jahr 2025 lebte er in der österreichischen Stadt St. Pölten und setzte sich als Vorsitzender des Kulturverbandes der Südmährer in Österreich für die Erhaltung des kulturellen Erbes seiner Vorfahren auf beiden Seiten der tschechisch-österreichischen Grenze ein.