The following text is not a historical study. It is a retelling of the witness’s life story based on the memories recorded in the interview. The story was processed by external collaborators of the Memory of Nations. In some cases, the short biography draws on documents made available by the Security Forces Archives, State District Archives, National Archives, or other institutions. These are used merely to complement the witness’s testimony. The referenced pages of such files are saved in the Documents section.

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Gudrun Wilcke -Pausewang (* 1928)

Wenn ich mich an meinen Volksschullehrer erinnere, muss ich immer daran denken, wie sein Schnurrbart abgebrannt wurde

  • geboren am 3. Mai 1928 in Wichstadtl (Mladkov)

  • der Vater ist im Krieg gefallen, nach dem Massaker der Deutschen in Wichstadtl ist die Mutter mit ihren 6 Kindern nach Westen geflüchtet

  • Gudrun ist Lehrerin geworden, mehrere Jahre unterrichtete sie an deutschen Schulen in Südamerika

  • gehört zu den renommiertesten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchatorinnen

  • wohnt in Baunach (Oberfranken)

Wichstadtl (heute Mladkov) ist ein Ort in Adlergebirge. Das raue Klima und unfruchtbarer Boden machten das Leben der hiesigen Bewohner nicht einfach, trotzdem – damals wie heute – bezauberte die Gegend Einheimischen und Besucher mit ihrer wilden Schönheit.

Der Vater von Gudrun Pausewang, Siegfried, mochte die Landschaft sehr. Er beschäftigte sich gerne mit den Fragen, wie man sich um das Land richtig kümmern sollte, um das Beste von der Erde zu bekommen? Was war eigentlich das Beste für das hiesige Land und für die Leute, die dort lebten?

Siegfried Pausewang studierte Landwirtschaft in Wien und in Breslau und während eines Aufenthalts in Deutschland hat er seine künftige Frau, Tochter von einem Kaufmann aus Saarbrücken, kennengelernt. Das junge Paar lebte zunächst in Deutschland, nach ein paar Monaten ist allerdings nach Wichstadtl umgezogen.

„Mein Vater hatte ein sehr starkes Heimatgefühl. Jetzt waren wir wieder in Mladkov und da stellte meine Mutter fest, wenn mein Vater noch zwei Semester an einer Prager Universität studierte, dann könnte er Volksschullehrer werden. Das wäre für mein Vater ideal gewesen. Das wollte er aber nicht, er wollte unbedingt siedeln. Zuerst hat er gesagt, gut, dann mache ich es. Als kleines Kind, als vielleicht dreijährige, war ich ein Semester in Prag. Aber ein Problem hatte der Vater, er hätte Tschechisch lernen müssen, denn jeder Volksschullehrer musste Tschechisch können, wenigstens etwas Tschechisch. Aber mein Vater hat sich bemüht, aber wahrscheinlich wollte er kein Tschechisch lernen. Damals war man unglaublich nationalistisch eingestellt. Als er dann merke, nein, Tschechisch geht nicht, das kann er nicht lernen, hat er in Prag Schluss gemacht und ist zurück nach Mladkov, und meine Mutter und ich auch.“

Sigfried Pausewang ist Siedler geworden. Zusammen mit seiner Frau hat er ein Grundstück in der Nähe von Wichstadtl gekauft. Die Senke wurde von den Nachbarn Rosinkawiese genannt. Wie hat sie ihr Namen bekommen? Rosinen, das war das Leckerste, was es gab. Rosinen im Garten zu pflanzen, das war ein Traum. Auf dem Grundstück, den der Siegfried Pausewang eben gekauft hat, wuchsen aber nicht mal keine Rosinen, eigentlich wuchs dort überhaupt nichts. Und somit war die Bezeichnung Rosinkawiese eher ein Scherz.

Rosinkawiese ist das neue Zuhause der Familie Pausewang geworden. Nach der ältesten Tochter Gudrun, die 1928 geboren war, folgten noch fünf jüngere Geschwister: Freya, Linda, Siegfried, Gotli und Volker.

Siegfried und alle Mitglieder seiner Familie arbeiteten hart auf dem Garten und die Arbeit hat langsam ihre Früchte getragen. Die Pausewangs konnten fast nur davon leben, was sie auf dem Garten geerntet haben. Um noch etwas Geld zu verdienen, unterrichtete der Vater als Landwirtschaftslehrer an einer Winterschule für Bauern. „Mein Vater kannte den Dialekt. Und als er den Bauern die modernsten landwirtschaftlichen Methoden in ihrer Sprache vermittelt hat, haben sie ihm einfach geglaubt.“  Gudruns Vater versuchte, den Bauern in Adlergebirge ganz neue Denkmuster beizubringen – statt sich die ständige Mühe zu machen, um die Almen in Felder zu verwandeln, hat er ihnen beraten, sich an das Viehzucht zu orientieren.

Fast alle Bewohner von Wichstadtl und der Region waren Deutsche. Im Umgebung lebten nur ganz wenige Tschechen. „Die Tschechen gab es kaum. Vielleicht zwei oder drei Familien, die bei der Bahn gearbeitet haben, Bahnarbeiter.“

Die Kinder von Wichstadl, und Gudrun Pausewang auch, besuchten die Schule im Ort. „Es war so: unter meinem Großvater, der ja früher auch an dieser Schule unterrichtet hat, der hat drei deutsche Schulklassen gehabt. Das war noch Österreich-Ungarn. Als ich in die Schule ging, da gab es schon eine Klasse Tschechen und zwei Klassen Deutsche. Aber in der tschechischen Klasse, da gab es auch viele Deutsche. Es war nämlich so: die Tschechen haben den deutschen Kindern, oder allen Kindern aus ihrer Klasse, ein großes Paket mit Wintersachen geschenkt. Das war von der tschechischen Regierung wahrscheinlich… Und weil viele Deutsche ganz arm waren, haben sie ihre Kinder in diese Klasse geschickt, nur um dieses Paket zu bekommen.“

Die Kinder aus den deutschen und der tschechische Klasse spielten nicht miteinander. „So wie ich es in Erinnerung habe, haben die Kinder kaum Kontakt gehabt. Als ich neun und zehn Jahre (alt) war, war ich in einen tschechischen Jungen verliebt. Hrdlička hieß er. Es ging aber nur kurze Zeit, denn er hat sich für mich gar nicht interessiert.“ Nachdem Hitler das Land übernommen hat, gab es die dritte tschechische Klasse nicht mehr. „Die deutsche und die tschechische Feindlichkeit, die war ganz schlimm. Noch bevor dem Krieg.“  

Der Vater von Gudrun hat an die großdeutsche Ideologie, wie sie sich in den Dreißigern Jahren entwickelt hat, geglaubt. Er selbst war ein ziemlich engagiertes Mitglied der Deutschen Partei und deswegen sollte er von den tschechischen Behörden verhaftet werden. So ist er 1937 nach Deutschland geflüchtet. „Er ist über die Grenze und dort war schon Deutschland. Zunächst war er in Hirschberg (heute Jelenia Gora) und dann in Breslau (heute Wroclaw). Nun war er da und er holte uns rüber, so sind wir mit der Mutter auch nach Deutschland umgezogen.“

Schon im kommenden Jahr, nach dem Münchner Abkommen, kehrte die Familie zurück auf die Rosinkawiese. Obwohl der Vater aus Gesundheitsgründen vom Wehrdienst befreit wurde, hat er sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet. Er diente in Holland und in Frankreich. Nach einem kurzen Urlaub zu Hause wurde er auf die Ostfront eingesetzt und im Jahr 1942 ist er bei Mariupol in der Ostukraine gefallen.

Die Sorge um die ganze Familie hat Gudruns Mutter übernommen. Gudrun, die älteste Tochter, war ihre rechte Hand. Sie selbst hat das Gymnasium in Mährisch Schönberg besucht. Ein paar Monate vor dem Kriegsende wurde die Schule geschlossen und seitdem war Gudrun wieder bei ihrer Familie auf der Rosinkawiese.

Als sich die Front näherte, steigte die Nervosität unter den Deutschen von Wichstadtl. Das schlimmste kam aber nicht mit den „barbarischen Russen,“ wie sich die Einheimischen fürchteten, aber noch ein paar Wochen später mit tschechischen paramilitärischen Gruppierungen.

Der Krieg war am 8. Mai zu Ende. Und am 22. Mai, glaube ich, da war Pfingsten, und am 24. oder 25. Mai kam eine Horde von paramilitärischen Tschechen nach Wichstadtl und haben zehn Männer, zehn deutsche Männer auf die grauenhafteste Weiße umgebracht. Also, totgequält.“

Unter den getöteten waren auch viele Männer, die Gudrun sehr gut kannte. „Der Bürgermeister und der Lehrer, Oberlehrer, die sind ganz fürchterlich behandelt worden, Kleidung ausgezogen und dann, z.B. Mit dem Feuerzeug den Schnurrbart abgebrannt. Und dann getötet.“

Die Tschechen haben alle deutschen Männer von Wichstadtl ausgesucht, aber nur 10 von ihnen haben sie rausgerufen. Ein von denen sollte auch Siegfried Pausewang sein, der Vater von Gudrun, der aber schon 1942 im Krieg gefallen ist. In Wichstadtl lebte damals noch ein anderer Pausewang, Emil Pausewang, ein alter Mann. „Das war ein Deutscher, der in dem Glatzer Kessel zu Hause war, der also mit Wichstadtl gar nichts zu tun hatte. Er ist nach Wichstadtl gekommen, weil dort seine Frau ein Haus geerbt hat. Er war schon pensioniert und war ein bisschen schwerhörig. Als mein Vater ausgerufen wurde, Siegfried Pausewang, hörte er schlecht und hat gedacht, Emil Pausewang, das war sein Name. Und er ist totgeschlagen worden.“

Wer waren die anderen Männer, die auf die grausame Art und Weiße öffentlich totgequält wurden? „Ein Vater von einem SS-Soldaten, ein deutscher Vater, der dafür gar nichts konnte. Er ist auch umgebracht worden. Oder ein Deutsche, der hatte einen tschechischen Name Safar, aber er war Deutsche, er konnte kein Tschechisch. Den haben sie auch umgebracht, weil er aus dem Name Safar Schaffer gemacht. Und ein Deutsche, dem ein Arm fehlte aus dem Krieg, der ist auch umgebracht worden. Die Tschechen, die die Deutschen ermordet haben, sind dann weiter gezogen, wir könnten nichts mehr machen, wir haben den Krieg verloren.“

Wichstadtl war ein kleiner Ort von acht Hundert Einwohner. Und so hat der Massaker alle Leute im Dorf persönlich betroffen. „Das schwierigste war, dass man die Menschen, die da umgebracht worden sind, kannte. Und so zum Beispiel, wenn ich an meine Kindheit, an meinen Lehrer denke, dann muss ich immer daran denken, wie sie ihn umgebracht haben, wie sie sein Schnurrbart abgebrannt haben, die Männer haben gebrüllt von Schmerzen.“

Gleich in der Nacht nach dem Massaker besuchten tschechische Soldaten die Rosinkawiese und haben das Haus komplett durchgesucht. Dabei haben sie ein Fotoalbum gefunden, wo auch ein Foto von einem Mann in Soldatenuniform war– es war Herr Ostermann, der bei Pausewangs während des Krieges wohnte. Seine eigene Wohnung wurde bombengeschädigt, und so ist er nach Wichstadtl gekommen – wie auch viele anderen Deutschen aus zerstörten Gebieten. Als die Soldaten sein Foto gesehen haben, dachten sie, es wäre jemand aus der Familie und wollten die Mutter verhaften. Zum Schluss hat es der Mutter gelungen, den Soldaten zu erklären, dass der Mann auf dem Foto ein fremder Mann ist und sie ließen sie los. „Nachdem die weg waren, hat die Mutter gesagt wir können nicht mehr hier bleiben, wir müssen flüchten. So sind wir wildgeflüchtet. Alles haben wir zu Fuß gemacht.“

An dem kühlen Maiabend 1945 begab sich die Familie auf den Weg nach Westdeutschland. Die Mutter mit sechs Kindern, die älteste, Gudrun, war siebzehn, der kleinste Volker war vier. Alles, was sie mitgenommen haben, haben sie auf einer Karre geschleppt. Ein Weg ins Unbekannte, völlig auf die Hilfe von anderen angewiesen. „Meiner Mutter ist es gelungen, ein Schein zu bekommen, dass wir eine Familie aus Westdeutschland sind. Dieser Schein erleichterte uns den Weg wesentlich. Wir hatten Glück, aber solche Dinge passieren auch. Wie es ist, ein Flüchtlinge zu sein, das weiß ich wirklich.“

Ihr Ziel war ein Ort in der Nähe von Hamburg, wo die Schwester von Frau Pausewang wohnte. Die acht Hundert Kilometer wurden erst in Oktober vollendet, und die Familie Pausewang hat neues Zuhause in der Nähe von Wiesbaden gefunden.

Nachdem die Familie in Deutschland angekommen war, setzte Gudrun mit ihrer Ausbildung fort. Sie ist Deutschlehrerin geworden und hat sich entschlossen, ins Ausland zu gehen. An deutschen Schulen in Südamerika hat sie insgesamt zwölf Jahre verbracht. Während ihres Aufenthaltes hat sie auch angefangen, Bücher zu schreiben. Zunächst waren das Bücher für Erwachsene, später auch für Kinder und Jugendliche. Sie beschäftigte sich mit Problemen der Dritten Welt, setzte sich für Frieden und Umweltschutz ein und warnte von der Nutzung von Atomenergie und vor neonazistischen Tendenzen.

In ihren Büchern kehrt sie auch zurück auf die Rosinkawiese und beschreibt ihre Kindheit in Wichstadtl und die Flucht nach Deutschland. Übrigens - mit Rosinkawiese verbindet sie immer noch eine enge Beziehung – sie ist sehr gut befreundet mit den jetzigen Eigentümer, mit der Familie Toman, und besucht sie regelmäßig.

Frau Pausewang ist eine der letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges. Alles, was sie erlebt hat – der Krieg, die Flucht, die schwierige Verhältnisse in der Nachkriegszeit und die Lebensumstände in Südamerika, bildete bei ihr eine klare Haltung: „Zunächst kommt der Mensch, dann lange nichts, und dann wieder – der Mensch.“  

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  • Witness story in project Stories of 20th Century (Lenka Kopřivová)