The following text is not a historical study. It is a retelling of the witness’s life story based on the memories recorded in the interview. The story was processed by external collaborators of the Memory of Nations. In some cases, the short biography draws on documents made available by the Security Forces Archives, State District Archives, National Archives, or other institutions. These are used merely to complement the witness’s testimony. The referenced pages of such files are saved in the Documents section.

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Master of Fine Arts Wolfgang Spielvogel (* 1945)

Ich wusste, dass ich hier hin gehöre

  • geboren in Barzdorf am 30. 8. 1945

  • 1946 waren seine Eltern mit ihremBaby nach Heidenman vertrieben

  • im Jahre 1964 machte er sein Abitur

  • danach studierte er in München und Wien Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft

  • im Jahre 1972 erlangte er ein PhD. aus der Theaterwissenachaft, zunächst als Regieasistent, dann als Dramaturg, schliesslich als Regisseur am Landestheater Tübingen

  • er arbeitete als Journalist,Pädagoge undTheatermacher mit verschiedenen freien Gruppen

  • 1994 gründete er eine eigenenfreien Gruppe mit Barbara Englert

  • er lebt in Frankfurt am Main

Wolfgang Spielvogel wurde  am 30. 8. 1945 in Barzdorf, heute Bernartice, in Ostschlesien geboren. Ein Jahr nach dem Krieg lebte er noch in diesem Ort, weil sein Vater nach dem Krieg in Märischer Ostrau als Zwangsarbeiter in der Kohlgrube arbeiten musste. „Ich gehe ohne meinen Mann nicht weg“, sagte seine Mutter, und so konnte er sein erstes Jahr noch in der damaligen Tschechoslowakei verbringen. Erst im September 1946 wurde die ganze Familie von MUNA (ehemaliges Munitionslager) in Niklasdorf (heute Mikulovice) mit dem lezten Zug nach Deutschland abgeschoben. „Letztes Jahr habe ich im Staatsarchiv mein Aktenzettel gefunden, auf dem Wolfgang Spielvogel steht, also das Dokument der Abschiebung“, erwähnt er, ohne es weiter zu kommentieren.

Jugend

Seine Jugend vebrachte Wolfgang Spielvogel auf der Schwäbischen Alb, im Jahre 1964 machte er sein Abitur und dann studierte er weiter in Wien Theaterwissenschaft. Die österreich-ungarische Vergangenheit verbunden mit dem Studium in Wien stärtkte seine Beziehung zu seiner schlesichen Heimat. Als der Abschluss des Studiums mit seiner Doktorarbeit beim ersten Male nicht gelungen war, weil die Arbeit nicht anerkannt wurde, kehrte er auf die Schwäbische Alp zurück und arbeitete dort ein Jahr bei einer Zeitung und in einem Heim für schwer erziehbare Kinder. Doch das Studium beendete er trotzdem. „Dann bin ich wieder nach Wien und habe dieselbe Arbeit, ohne ein Komma verändert zu haben, nochmal abgeben. Und dann ging alles gut. Seitdem bin ich Doktor der Theaterwissenschaft“, beschreibt er seine Unnachgiebigkeit, mit der er stets sein eigener Herr bleiben wollte.

Nach seinem Studium fang er an, in Tübingen Theaterspiele zu machen, dann, nach 3 Jahren in Frankfurt am Mein, kam er mit dem neuen Leiter in das Theater von Reiner Werner Fassbinder, der damals begann, sich eher seiner Filmkarriere als der Theaterarbeit zu widmen. Auch hier versuchte er, die Sachen anders, nach seiner eigenen Weise zu machen. Er arbeitete kurz auch mit der Studentenbewegung und mit verschiedenen kommunistischen Studenten, aber die persönlichen Beziehungen und die Konkurrenz unter einzelnen kommunistischen Studentengruppen machten die Arbeit sehr schwierig.

Eine Zeit befasste er sich auch mit den Freien Theatergruppen, für welche die Unterstützung der Demokratie wichtig war und welche das Theater nicht mehr als staatliche Institution sehen wollten, sondern als freies aus privaten Quellen unterstützes Objekt. Zum Schluss hatte er in Frankfurt sein eigenes Theater Primmadonna … Held. „Dort habe ich hauptsächlich eigene Stücke inszeniert und ich habe es dann verwandelt in ein Frankfurter Autoren Theater, um es attraktiver zu machen. Nicht nur Spielvogels Stücke“.

Vor zwei Jahren hörte er mit dem Theater auf. „Da war meine Mutter gestorben und aus irgendeinem Grund habe ich plötzlich angefangen mich für meine Herkunft zu interessieren“, beschreibt er den wichtigen Anlass für sein weiteres Leben. Zum ersten mal war er in der Tschechoslowakei nur als Urlaubsbesucher. „Ich war vollkommen fasziniert, ich hatte das Gefühl, ich gehöre hierher“, so waren seine ersten Eindrücke. Er begann weiter zu forschen und alles schriftlich festzuhalten. Bis jetzt sind dies 70 Seiten seines Romans aus dem Altvaterland und der Region um Reichensteiner Gebirge.

Seit seiner ersten Reise nach Schlesien mit einem Bus mit alten deutschen Leuten, die sehen wollten, was aus ihren Häusern geblieben ist, kommt er öfters privat wieder, um seine Wurzeln zu suchen. „Ich habe auch gefunden, dass die erste Hexe, die hier in der Gegend verbrannt wurde 1651, hieß wie ich, also Spielvogel. Ich bin eigentlich stolz darauf, dass die erste Hexe Spielvogel hieß“, kommentiert er die Erfolge seiner Wurzel-Forschung. Er findet viele andere Geschichten von den, nach seiner Worten extrem interessanten Menschen in dieser Gegend, die er dann weiter literarisch bearbeiten will.

Die Vertreibung

„Bei uns zu Hause wurde sehr wenig darüber gesprochen“, beginnt Herr Spielvogel mit Erinnerung an die Vertreibung selbst. Seine Mutter erzählte oft von einem Tschechen, einem Polizisten, der Pelikan hieß, wie er sie mit veschiedenen Ofizialitäten gequält hatte, und von dem Tschechen, der in ihrem Haus wohnte. Sie konnte damals hier auch noch leben, bis sie mit anderen nach Deutschland wegkam. „Von diesem Mann hat sie nur voller Hass gesprochen“, daran erinnert er sich gut, sonst gab er nur wenige Informationen zur Vertreibung. Sehr oft hat die Mutter über die Rückkehr des Vaters von dem Arbeitslager in Ostrau gesprochen und über Schwierigkeiten, die mit dem Leben im Lager verbunden waren, für sie und auch für den Vater. Die Mutter arbeitete als Sekretärin auf einem Bauernhof und der Vater als Tierzucht-Inspektor in Troppau (heute Opava).

Viktor Heger und Hans Kutlich waren zwei schlesiche literarische Autoren, die der Vater oft in seiner neuen Heimat in Deutschland erwähnte. Doch für den jungen Wolfgang klangen diese Namen zu provinziell. Jetzt bedauert er sehr, dass er damals nicht mehr fragte und kein Interesse zeigte. „Ich finde beide sehr interessant und ich habe sie inzwischen auch nachgelesen ,  mit Nachkommen von Kutlich habe ich auch schon kommuniziert“, beschreibt er näher seine jetzige Faszination durch seine Heimat und fügt hinzu, dass sein Vater sehr gerne das Musikstück Meine Heimat (Má vlast) von Smetana hörte, obwohl er als Deutscher eine gewisse Distanz zu den Tschechen hatte.

Als das älteste Kind seiner Eltern hat er das größte Interesse an der Geschichte seiner Familie. Seine zwei Schwestern wurden in Deutschland geboren. Die jüngere teilt seine Neugierde mit ihm. Es ist ihnen gelungen, sogar eine alte Frau in der Gegend um Bernatice zu finden, die sich  an seine Verwandten noch persönlich erinnert. Sein Vater war zu jung für den ersten Weltkrieg und zu alt für den zweiten. Trotzdem nahm er auch an den Kriegsereignissen direkt teil: „Er wurde kurz vor Ende zu dem Volkssturm, wo die Jugendlichen, Kinder und alte Männer dabei waren.“ Relativ früh ist er dann in Gefangenschaft genommen worden.

Sein Onkel war Bürgermeister von Barzdorf in den Jahren 1939-1945, der andere Onkel und auch seine Tante nahmen an dem öffentlichen Leben stark teil. „Als ich vor zwei Jahren hierher gekommen bin, hatte ich schon ein bisschen Angst, was ich wohl alles erfahren würde“, kommentiert Herr Spielvogel seine Gefühle vor seiner Reise nach Schlesien, weil er von seinen Eltern keine Informationen hatte, in wie weit sie mit dem Nationalsozialismus verbunden waren. „Aber ich habe Gott sei dank nichts gehört.“

Nach der Vertreibung kam die Familie nach Dillingen, wo sie in einer Zweizimmer-Wohnung bei einem Bauer wohnten. Dort kam auch die erste Tochter zur Welt. Als der Vater Arbeit bekam, verbesserte sich auch ihre Wohnungssituation.

Der allererste Besuch war im Jahre 1974 oder 1975: „Meine Schwester und ich haben meine Eltern einfach überredet, sie wollten beide nicht. Sie haben gesagt, sie wollen nicht sehen, wie es jetzt hier aussieht, aber wir sind dann halt doch gefahren“. Das Haus in Barzdorf stand noch und der Tscheche, an den sich die Mutter als an einen Teufel erinnerte, lebte noch immer dort. Wolfgang war damals in einer kommunistischen Studentenbewegung und hatte deshalb politische Sympatien zu den hiesigen Leuten, auch zu diesem Mann. Es war ein alter Mann mit einer Hacke in der Hanwelcher grad am Holhcken war, er hatte sie sogar nach Hause eingeladen und so saßen sie mit ihm in der Küche und tranken Kaffe und Schnaps, die er ihnen angeboten hatte. So schien dieser arbeitende Mensch dem höchst optimistischen jungen Wolfgang als ganz normaler Mensch im Unterschied zu den Erinnerungen der Mutter. Zum letzen Mal besuchte Wolfgang Spielvogel Schlesien mit seiner Tochter Suse, die Tschechisch lernen will. „Für mich war das völlig faszinierend, es war meine Reise zurück in die Vergangenheit, eigentlich in ein leeres Blatt. Ich will wissen, wie es früher war, wie meine Eltern gelebt haben, ich weiß das alles nicht. Es ist vielleicht wie die Amerikaner den wilden Westen besucht haben und gedacht haben, es ist ein leeres Land. Und dabei haben dort die Indianer gelebt. Und so ähnlich dachte ich, es ist ein leeres Land, hier gibt es nichts außer der Vergangenheit. Und dann sieht man und findet die Leute, die jetzt hier wohnen, faszinierend.“

© Všechna práva vycházejí z práv projektu: Memories for the Future

  • Witness story in project Memories for the Future (Miroslava Špaková)