Friedrich Reithmeier

* 1936

  • Es sind also zwei tschechische Soldaten, die unter der Woche Dienst hatten in Flecken, an einem Samstagmittag mit Fahrrädern und Koffern ins Haus gekommen, jeder mit einer Pistole. Ich kann mich noch erinnern, wir haben einen Hund gehabt, der hat sie nicht zur Tür gelassen, dem haben sie gleich die Pistole eingesetzt. Dann hat man alle anwesenden Leute in ein Zimmer versperrt. Bei meinen Großeltern, da waren zwei Onkel, die waren schon berufstätig. Alle Anzüge, Wäsche, Fotoapparate und dergleichen, was man hat brauchen können, hat man alles in die Koffer verstaut und mitgenommen. Zu uns hat man gesagt, scheinheilig: „Vater ist in Klatovy eingesperrt und wir alles mitnehmen.“ Es hat aber exakt so nicht gestimmt. Dann, als sie fertig waren, haben sie uns die Tür wieder aufgesperrt und sind abgehauen.

  • Eine Woche später kam ein Einzelner. Meine Mutter hat nicht gewusst, dass es auch ein Tscheche war, sonst hätte sie es hundertprozentig nicht gesagt. Er hatte eine andere Uniform, denn es war ein Grenzer, er hatte eine andere Uniform als das Militär. Er hat im reinen Deutsch meiner Mutter gesagt – Sie hatten am Samstag Besuch. Sie hat ihm dann alles haargenau erzählt, der wollte es auch so wissen und das war es. Als dann einen Tag darauf aus Chudenín, Kudiwa, ein Polizist mit Motorrad und Beiwagen kam, und gefragt hat, sie soll es noch einmal erzählen, dann ist ihr erst zu Bewusstsein gekommen, kein anderer, sondern auch ein Tscheche war. Er hat, wenn man sich das so vorstellt, damals in 1945, seine eigenen Landsleute angezeigt. Meine Mutter wollte mit allen Mitteln diese Anzeige rückgängig machen, weil sei sehr große Angst hatte um unser Leben. Aber der Polizist hat ihr erklärt, es ist nicht möglich, es läuft und es wird auch durchgezogen. Unser Dienstmagd, die wir hatten, die jungen Leute, die haben die Soldaten gut gekannt (inzwischen wurden sie nach Kdyně, Neugedein…), sie musste mit dem Polozisten mitfahren eines schönen Tages und am Exerzierplatz im Auto bleiben und de Soldaten mussten antreten und sie hat nur zu bestimmen gehabt, wer es war. Sie hat im Auto nur die zwei angedeutet, sie wurden sofort herausgeholt und nach Klatovy gebracht und eingesperrt. Und dann gab es noch eine Verhandlung in Klattau, da ist extra der tschechische Polizist mitgefahren, und da hat, soviel ich weiß, der eine zwei Jahre und der andere acht Monate bekommen. Ob sie es offiziell absitzen mussten? Eher nein. Aber die Verhandlung war so. Und über einen tschechisch sprechenden Bekannten haben meine Großeltern diese Ware dann tatsächlich wiederbekommen, in einer Ortschaft abgeholt. Es hat dann aber nicht sehr viel gebracht, weil es war Ende 1945 und 1946 wurden sie selber ausgesiedelt. Dann ist alles wieder dageblieben und dann war es wieder kaputt. Aber dass 1945 ein tschechischer Staatsangehöriger seine eigenen Landsleute anzeigt, wenn sie etwas Unrechtes tun, das durfte nicht sehr häufig vorgekommen sein.

  • Wir in Vorderbuchberg, wir mussten dann so circa dreiviertel Stunde zur Grenze gehen. Es war da hinten ein Berg, da konnte man gut reinsehen, der Stammenruck. Da konnte man schon Teile der Heimat sehen, bis nach Neuern. Da konnte man auch die Veränderungen sehen – wenn da und dort wieder ein Haus weggerissen worden ist oder so. Besonders dramatisch ist dann das mit der Kirche in Rothenbaum verlaufen eines schönen Tages, ich weiß jetzt die Jahreszahl nicht mehr so ganz genau, so 1954 oder 1955. Jedenfalls hat man sie erst einmal angezündet, laut Pressemitteilung hat eine Elster diesen Brand verursacht, es kann sich dabei jeder denken, was er will. Jedenfalls gelöscht hat niemand. Und zwei Jahre später hat man dann die Reste in die Luft gesprengt und mit Raupen eingeebnet. Es wurde dann später militärischer Sperrgebiet und es sollte niemand mehr da wissen, dass da einmal irgendwo ein Friedhof oder eine Kirche gestanden hat. Beim Sprengen, na ja, das geht relativ schnell. Aber beim Brandt, das hat also ziemlich lange gedauert und da wähnte aus der Ostwind. Es haben jedenfalls die Einwohner hier von Jägershof erzählt, dass in der nahe der Kirche ein Schloss war, also der Pfarrhof. Da sind natürlich am Boden alte Dokumente herumgelegen und die hat der Wind bis über die Grenze getrieben. Eine ziemlich makabre Geschichte.

  • Er ist illegal einmal kurz nach Flecken gekommen. Nach Flecken entlassen konnte er sich nicht lassen, weil, das muss man wissen, er war ja nach dem tschechischen Verständnis eigentlich ein Deserteur. Er hat sein Grundwehrdienst in Rokitzan, also beim tschechischen Militär geleistet und wenn 1938 Generalmobilmachung war, sind halt viele Deutschen hier an der Grenze dieser Einladung nicht gefolgt und sie sind zum deutschen Militär gegangen. Und wie es damals war, solche Leute, wenn man sie dann erwischt hat, die lebten dann nicht mehr sehr lange. Darum hat er sich in Bayern entlassen lassen und daher auch unser früher Abschied von Zuhause, praktisch illegal, weil er zu uns eigentlich offiziell nicht durfte, weil sein Leben in Gefahr war.

  • Full recordings
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    Neukirchen, SRN, 04.09.2019

    (audio)
    duration: 01:14:59
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Um Freunde zu sein, müssen sich beide Seiten an die Wahrheit halten

Friedrich Reithmeier, nach 1950
Friedrich Reithmeier, nach 1950
photo: pamětník

Friedrich Reithmeier wurde am 14. August 1936 in der Gemeinde Flecken (Fleky) geboren, nahe Neuern (Nýrsko), das unter die Pfarrgemeinde von Rothenbaum (Červené Dřevo) fiel. Damals lebten in Flecken nur deutsche Familien, die Reithmeiers waren keine Ausnahme. Der Vater Karl war ein gelernter Schuster, doch um die Familie zu ernähren widmete er sich ebenfalls ihrer kleinen Landwirtschaft. In den drei Räumen des kleinen Hauses drängelte sich die vierköpfige Familie und im Alkoven lebten die Eltern des Vaters. Der Vater Karl diente zwar in der tschechoslowakischen Armee in Rokitzan (Rokycany), trat aber seinen Dienst während der allgemeinen Mobilisierung 1938 nicht an und verübte so aus Sicht der tschechoslowakischen Ämter Desertion. 1943 wurde er in die deutsche Armee einberufen und kehrte nach dem Krieg dauerhaft nicht mehr in die Heimatgemeinde zurück. Friedrich begann seinen Schulbesuch 1942 in einer jahrgangsgemischten Klasse in Rothenbaum, wo er ebenfalls seine Erstkommunion 1945 hatte, am Tag, als das nahe Neuern beschossen wurde. Nach dem Abzug der amerikanischen Armee kamen zunehmend tschechoslowakische Soldaten und andere Bewaffnete nach Flecken, die Gewalttaten und Diebstähle verübten. Im konkreten Fall der Großeltern Reithmeier wurden die Soldaten aber für den Raub verurteilt und mussten das Eigentum zurückgeben – an ihrer Vertreibung einige Monate später änderte das jedoch nichts. Mutter und Kinder Reithmeier verließen die Tschechoslowakei schon vor dem Beginn der Transporte – im November 1945 gingen sie zum Vater, der als „Deserteur“ nicht zurück in die Tschechoslowakei konnte. Friedrich blieb bis heute im grenznahen Vorderbuchberg, verfolgte hinter der Grenze die Errichtung des Eisernen Vorhangs und die Liquidierung der ehemaligen deutschen Dörfer, einschließlich seines Familienhauses und der Pfarrkirche von Rothenbaum. Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 überraschte ihn, gewährte ihm aber nun die Möglichkeit seine Heimat, mit der er sich stets verbunden fühlt, regelmäßig zu besuchen. Zudem nahm er freiwillig mit anderen ehemaligen deutschen Pfarrangehörigen an der Freilegung der Grundmauern der Kirche von Rothenbaum teil sowie an der Restaurierung der örtlichen Friedhofsreste.