The following text is not a historical study. It is a retelling of the witness’s life story based on the memories recorded in the interview. The story was processed by external collaborators of the Memory of Nations. In some cases, the short biography draws on documents made available by the Security Forces Archives, State District Archives, National Archives, or other institutions. These are used merely to complement the witness’s testimony. The referenced pages of such files are saved in the Documents section.

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Rudolf Peller (* 1926)

Wo Sie die Jugend erlebt haben, da ist man eben zuhause Alles andere ist nicht so wichtig

  • geboren in Altsattl am 22.12. 1926

  • Vater ist Bergarbeiter, Mutter hütet als Hausfrau die vier Kinder

  • Peller ist beim ATUS und bei den Jugendfreunden

  • 1943 wird er mit 16 Jahren zum Arbeitsdienst einberufen

  • nach kurzer Kriegsgefangenschaft kehrt er im August 1945 nach Altsattl zurück

  • Arbeit im Bergbau und als Kraftfahrer bei tschechischer Firma

  • die Familienmitglieder werden als Antifaschisten anerkannt, siedeln aber 1948 in die BRD über

  • Ankunft bei Furth im Wald, später Flüchtlingslager in Hof

  • hier lernt Peller seine Frau kennen, die er 1952 heiratet und findet Arbeit bei einer sozialdemokratischen Zeitung

  • er wird Mitglied der Hofer Seliger-Gemeinde

  • 1977 baut die Familie ein eigenes Haus in Hof

  • bis zur Pensionierung arbeitet Peller bei einer Textilfirma und einem Verlag

Rudolf Peller wird am 22. Dezember 1926 zu einer Zeit geboren, die unter schlechten Vorzeichen steht. Sein Vater, aufrechter Sozialdemokrat, arbeitet im Bergbau, um die fünf Kinder durchzubringen. Vier Jahre besucht Peller die Volksschule in Altsattl, bevor er für zwei Jahre in die tschechische Schule geht. Kontakt mit den wenigen Tschechen ist dennoch kaum vorhanden. Da hat es..., also in Altsattl also immer keine, also sehr wenig Tschechen gegeben und dementsprechend auch keinerlei Kinder. Wir waren in der Überzahl, waren wir Deutsche. [...] So, wir konnten auf die Ämter gehen, konnten Deutsch sprechen. Alles bei uns, gell. Eben, weil alles deutsch war.

Obwohl der Konflikt zwischen den deutschen Henleinanhängern und den Sozialdemokraten auch im Ort schwelt und Politik zuhause durchaus ein Thema ist, nimmt Peller seine Jugend bis zum zwölften Lebensjahr als relativ unbeschwert wahr. Die sozialdemokratischen Jugendvereine bieten organisieren immer wieder Ausflüge und Feste. Von den Jugendfreunden waren wir..., da hat es ab und zu mal so ein Treffen gegeben und da ist gebastelt worden. Und dann ist da gewandert worden als Kind bei den Jugendfreunden. Ein folgenschwerer Bruch geht jedoch mit der Machtübernahme der Nazis und der Verfolgung der Sozialdemokraten im Herbst 1938 einher. Die Familie versucht ins Landesinnere zu flüchten, um sich von dort aus einem Transport ins Ausland anschließen zu können. Diese Hoffnung wird allerdings jäh zunichte gemacht. Wir waren auch bis ins Innere der Tschechei, ins Innere von Böhmen, und, wie Sie wissen werden, sind dann da die meisten nicht fort gekommen. Einige, die haben das Glück gehabt, die konnten nach Kanada oder nach Dänemark. [...] Ja, da haben sie Verbindungen gebraucht, gell! [...] Die meisten wurden ja in England und in Dänemark..., aber so viel wie geflüchtet sind, war scheinbar zu viel damals. Und wir mussten dann wieder heim, weil wo wollten sie hin?

Zurück in Alt Sattl trifft es den Vater. Der ist erst einmal gekündigt worden am Schacht und dann hat er sich erkundigt, ob das rechtens war und ist dann am Bezirk gegangen und hat sich von dort...und ist dann nicht mehr zurückgekommen. Ist von dort aus gleich auf die Burg Elbogen eingesperrt worden. Dann ist er nach Zwickau ins Zuchthaus und von Zwickau aus nach Dachau. Bis der Vater im Februar 1939 aus dem Konzentrationslager zurückkehrt, bricht eine Zeit der großen Not für die Familie an, während der auch eins von Pellers Geschwistern an Diphterie stirbt. Aber ein wenig Hilfe kommt von unerwarteter Seite. [D]ann war der Bürgermeister am Ort, der war doch schon vernünftig und hat unserer Mutter fünf Mark gewährt in der Woche. Mit der Begründung: Also wenn es wieder..., wenn das Einkommen wieder fließt, müssen die fünf Mark zurückgezahlt werden. Und dann waren einige Leute im Ort, die Erbarmen hatten. Da ist ab und zu mal jemand gekommen und hat uns Essen geschickt..., mitgebracht. Das war eigentlich schön. Die Erste war ausgesprochener Nazi... Die hat einen ganzen Korb voll Lebensmittel gebracht. Da waren wir sehr überrascht damals. [...] Die sind halt Menschen geblieben. Die geholfen haben, die sind Mensch geblieben, die waren nur ideologisch ein bisschen anders, gell. Aber das Humane, das hat in ihnen gesteckt.

Dennoch bekommt die Familie die Verfolgung weiterhin deutlich zu spüren. Nach der KZ-Zeit wird der Vater nicht mehr im Bergwerk angestellt, muss als Straßenarbeiter das Brot für die Familie verdienen. Peller selbst eckt an, weil er der Hitlerjugend nicht beitreten will. Da sind sämtliche Jugendliche dort gewesen. Und aus dem Kreis waren vier Mann, die eben zur HJ nicht gekommen sind. Also mussten wir uns aufstellen vor dem ganzen Kreis und dann ist auf uns eingeredet worden. [...] Ja, und das war kurz, bevor ich da einrücken musste. Und dann waren wir schon fort und dann habe ich noch eine Aufforderung gekriegt in das..., in das Wehrertüchtigungslager zu gehen. Da sind lauter solche eingezogen worden, die eben nicht ganz gespielt haben. [...] Naja, dann bin ich um das Ding rumgekommen, also das brauchte ich nicht zu absolvieren. Denn mit 16 Jahren muss Peller, der gerade eine Lehre zum Automechaniker durchläuft, einrücken zum Arbeitsdienst.

Auch hier hängt ihm seine sozialdemokratische Herkunft nach, wenngleich ihn dies möglicherweise vor Schrecklichem bewahrt. [I]n dem Arbeitsdienstlager haben sie Freiwillige gesucht zur Waffen-SS. [...] Und in der Zeit hab ich überlegt: “Was sagst du?” [...] Und wie er dann bei mir war, hat dann der Abteilungsleiter den Mann von der SS zurückgezogen, hat mit dem geredet und auf einmal konnte ich gehen. “Bist gekommen...”, hat er gesagt, “Ist erledigt, kannst gehen.” Also da war für mich klar, dass die über die politische Einstellung von mir und von der ganzen Familie Bescheid wussten. Das hat...das war überall der gleiche Fall. Die haben über mich schon Bescheid gewusst, bevor ich hingekommen bin, wenn ich irgendwie versetzt worden bin.

Als das Kriegsende absehbar ist, überlegt er sich einen Trick. Er meldet sich freiwillig für die Unteroffiziersschule und will durch die Ausbildung den Fronteinsatz vermeiden. Dieser Plan geht nicht auf. Am Erleben der letzten Kampftage tritt in Pellers Augen beispielhaft die Grausamkeit und Absurdität des Krieges zutage. [I]m Februar 45 sind wir dann von Treptow oben in Pommern über Nacht einfach mal raus [...]. Dann ist erst langsam durchgesickert, dass es in den Einsatz geht. Dann sind wir von Treptow aus nach Schneidemühl in den Einsatz gekommen. Schneidemühl ist an der polnischen Grenze gewesen. Also jetzt ist es ja Polen. Und das Schönste war, eine Waffe...also Gewehr haben wir gehabt, nur keine Munition dazu. Im Zug an die Front haben sie vom MG-Gurt..., haben sie da für jeden Mann drei Patronen ausgeteilt. Drei! Mit drei Schuss Munition mussten wir in den Krieg ziehen. Hält man nicht für möglich, gell? Aber es war so.

Doch Peller übersteht diese Episode und kann im August 1945 in seine Heimat zurückkehren. Die Familie wird vorerst zum Bleiben genötigt; Arbeiter für den Bergbau sind Mangelware. Wie sein Vater heuert auch Peller im Bergwerk an und kommt später als Fahrer bei einem Fuhrunternehmen unter, das inzwischen – vormals einem Deutschen gehördend – in tschechoslowakische Hände übergegangen ist. Hat mir direkt einen Führerschein ausgestellt, ausstellen lassen, ohne Prüfung, ohne alles. Na, und dann hab ich bei denen zum Fahren angefangen und bin als Kraftfahrer gewesen bis zum..., bis zur Aussiedlung. Obwohl die Anerkennung als Antifaschisten feststeht, sieht die Familie keine Zukunft mehr in Altsattl. Als Deutscher ist man quasi rechtlos. Die haben können mit Ihnen machen, was sie wollten. Also, wenn sie gesagt haben: “Du gehst dort hin, musst das und das machen...”. Ob das nun rechtens war oder nicht, die Sachen mussten gemacht werden. Und man hat keine Möglichkeit gehabt, sich zu beschweren.

Die Aussiedlung erfolgt 1948. Sie dürfen mehr mitnehmen als viele andere zuvor – allerdings nur das, was in den kleinen Lastwagen passt. Bloß das, was eben nötig war, eins der Möbelstücke und ein bisschen Wäsche, das Geschirr und das Zeug. Aber allesso, wie sie es daheim gehabt haben, war nicht möglich. Nach dem Grenzübertritt geht es ins Sammellager nach Furth im Wald. Hier darf die Familie noch den Wunsch äußern, wo es weiter hingehen soll. Da in Hof bereits einige Verwandte und Freunde aus der Heimat untergekommen sind, entscheidet man sich für diese Stadt.

Zwei Jahre muss die Familie Station im örtlichen Flüchtlingslager machen. Als glückliche Fügung ist zu nennen, dass Peller hier beim Tanz seine spätere Frau kennenlernt. Sie selbst stammt aus Elbogen, eigentlich nur einen sprichwörtlichen Steinwurf von seinem Heimatort entfernt. 1952 heiraten die beiden und können daraufhin eine eigene Wohnung beziehen. Große Schwierigkeiten bereitet zunächst auch die Arbeitssuche. Hierbei zeigt sich die Benachteiligung der Flüchtlinge. Peller ist das erste Jahr in der BRD arbeitslos. [D]a sind die Einheimischen schon bevorzugt worden. Wenn da eine Stelle irgendwo frei war und sie als Flüchtling sind hingekommen und es waren Einheimische dort, dann sind die schon bevorzugt worden. Also da haben sie schon Glück gebraucht oder Fürsprecher, dass sie eine Stelle gekriegt haben. Aber das Glück hat er schließlich – auch durch die sozialdemokratische Solidarität – und Peller bekommt erst eine Anstellung bei einer Textilfirma, dann bei einem Verlag als Hilfsarbeiter und Fahrer.

Erst 1967 besucht er zusammen mit seiner Frau die alte Heimat das erste Mal wieder, eine für ihn merkwürdige Erfahrung. Die Vorstellungen vom Ort selber, die waren ganz andere. Ist alles viel kleiner gewesen, alles in der Wirklichkeit. Also als man sich das gedacht hat in der Erinnerung. Wenn man reingekommen ist, früher hat man gedacht, die Straße ist ziemlich weit, ziemlich breit und ich bin direkt erschrocken. Wie ich hingekommen bin, war das eine Gasse. Das war tatsächlich so. Die Häuser, die hat man in Erinnerung viel größer gehabt, als sie tatsächlich waren. Und so ist es mit allem gewesen. Da waren schon einige Häuser aus dem Ort, die haben sie einfach weggerissen. Und auch zur Verwandtschaft in der alten Heimat sind die Beziehungen über die Jahre brüchig geworden. [D]ie noch drin waren, die Deutschen, die sind ja alle zwanzig Jahre älter geworden und mit zwanzig Jahren ohne Kontakt wussten Sie ja gar nicht, was Sie zu denen sagen sollen. Das war ein Fremder. Selbst wenn Sie die erste Zeit noch so in der näheren Umgebung gewohnt haben, wenn Sie die nach zwanzig Jahren treffen, die haben ihr Leben gelebt und wir unseres. Hat alles nicht mehr gestimmt nachher, gell. [...] Na die Jungen, die kennst Du überhaupt nicht, gell. Und wie schon gesagt, 66 Jahre sind wir da. Die damals geboren worden sind, sind auch schon alte Leute.

Obwohl er seine Heimat eindeutig in seiner Kindheit und damit in Altsattl verortet, hegt er jedoch keineswegs Gram über diese Tatsachen. Vielmehr hat er sich eine solide Existenz in Hof aufgebaut. 1977 hat die Familie sich ein Eigenheim geschaffen. Und die Bande zur sudetendeutschen Sozialdemokratie sind fest in seinem Leben verankert. Sein Vater hat die Seliger-Gemeinde in Hof mitgegründet; Peller selbst wurde Mitglied. Und so blickt er gelassen auf ein bewegtes Leben zurück – ein Leben, das vom sozialdemokratischen Umfeld geprägt wurde. Da hat jeder die gleiche Gesinnung gehabt. Und das macht viel aus. Wenn Sie sich mit jemandem unterhalten können, wo sie wissen, der ist so eingestellt, wie sie selber, als wenn sie sich mit einem da irgendwie streiten müssen. Das liegt mir nicht.

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  • Witness story in project Not to disappear from history (Rafael Buchta)