Herbert Meinl

* 1940

  • „Ich habe Zeit meines Lebens, soweit meine Erinnerung zurück reicht, das Gefühl ich gehöre da nicht hin. Das ist ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Und ich hatte das zum ersten Weihnachten 1946. Da sind wir grade in Bayern angekommen und wir waren untergebracht in diesem riesigen alten Gerichtsgebäude. Und es was Heiligabend und es war schon Abend, ich bin aus unserem einem Zimmer raus und bin raus, bin durch die Gänge gelaufen und da gab es auch Seitenflügel. Ein verwirrendes Gebäude, da war sogar noch ein Gefängnis dabei. Manchmal war da jemand eingesperrt. Und ich habe mich verlaufen, ich habe nicht mehr zurückgefunden, ich wusste nicht mehr wo ich bin. Sechs Jahre [alt] war ich. Da komme ich an einer Tür vorbei, da höre ich Stimmen und da brannte Licht und der Tür heraus. Da bin ich da hin einen, ich dachte da bin ich jetzt. Und ich war wie vom Blitz getroffen, da gehöre ich nicht hin. Es war eine andere Familie, das war die Familie des Gerichtsangestellten. Es war hell erleuchtet, es war warm. Ein großer Christbaum mit Kerzen dran. Drunter lagen Geschenke. Die Familie war da und deren glaube ich drei Kinder. Mit einem habe ich mich dann später angefreundet, mit dem jüngsten Buben. Was mache ich hier? Da gehöre ich nicht hin. Und die haben mich reingelassen und haben sich gefreut und haben mir auch Geschenke gegeben. Und dann haben sie mich nachhause geführt, zu meiner Familie. Und da erinnere ich mich ganz stark, da bin ich falsch. Und dieses Gefühl hat mich mein Leben [lang] nicht verlassen. Das Gefühl der Heimatlosigkeit, ich gehöre da nicht hin.“

  • “Als ich jung war hat mich diese alte Heimat so gut wie nicht interessiert. Ich hatte damit nichts zu tun, ich war sechs Jahre alt, als wir daraus sind und meine Interessen waren da ganz woanders und wenn Besuch gekommen ist und Verwandte und die Nachbarn, dann als wir in Bayern waren und erzählt haben von der Heimat und wie das war, hab ich gedacht was haben die alle immer mit der Heimat, wir sind jetzt hier. Was mit den Leuten los war habe ich damals nicht verstanden. Jetzt im Alter kriege ich ein Gefühl dafür. Aber das hat sich Schlagartig geändert, vor 20 Jahren hat`s mich plötzlich interessiert. Ich weiß nicht warum, aber ich habe gesagt ich will das wissen. Ich habe meinen Rucksack gepackt, Wanderschuhe angezogen, bin nach Nejdek gefahren. Bin spät nachmittags angekommen, bin auf den Marktplatz gegangen und habe einen Mann gefragt, wo ich zur schönen Aussicht komme? Das ist ein Wirtshaus, so ein Tanzhaus auf halber Höhe nach (..) rauf. Da hat er mir das erklärt, ich bin da rauf, ich wusste nicht ob ich da übernachten kann. Ich bin Alpinist ich finde mich überall zurecht, auch nachts im Freien. Und ich habe ein Zimmer bekommen. Am nächsten Tag bin ich zum Tellerberg gegangen, irgendwie habe ich mich durchgeschlagen durch den Wald. Später habe ich gewusst, dass die früher auf der Bahnlinie gelaufen sind, das habe ich dann auch Mal gemacht. Wenn ein Zug kommt muss man halt runtergehen, aber der hubt vorher. Ich wusste ungefähr wo dieses Haus stand, knapp unterhalb der Bahnlilie. Und es ist ein dichter Wald. Die Tschechen haben über diese Wüstungen Wald gepflanzt, eben um die Erinnerung auszulöschen. Es sind elf Wüstungen dieser Art im Bezirk Nejdek. Und es sind insgesamt 1100 solcher Wüstungen im Sudetenland die ausgelöscht worden sind. Also ich zwäng mich in diesen Wald hinein, dichter, dichter Wald. Und es ging gerade in Richtung dieses Fliesenhanges. Von dem ich vorhin erzählt hatte, wo ich mit drei Jahren gestanden bin und wahnsinnige Angst hatte darunterzufallen. Und es ist keine Wiese mehr, es ist überhaupt nichts mehr, nur Wald, dichtester Wald. Und ich zwäng mich darein und steh plötzlich vor den Grundmauern dieses Hauses. Ich denk mich trifft der Schlag, ich denk mich trifft der Blitz. Ich steh vor diesen Mauern, da ist die Geschichte plötzlich wieder da nachdem sie 60 Jahre versteckt war. Man kann Geschichte nicht verstecken. Und ich konnte sehr schnell unterscheiden, das war der Wohnbereich, das war die Küche, da war der Stall und da ist der Misthaufen. Der Misthaufen ist im Hang und der konnte nicht zerstört werden, der hat 15cm dicke Betonwände. Und er funktioniert heute noch, er ist zwar dreiviertel voll mit altem Laub und Ästen, der Abfluss funktioniert noch, ich habe ihn freigelegt. Also man könnte da wieder Landwirtschaft machen. Wenn das Haus verkauft würde. Ich überfüllt und überschwemmt von einer Gefühlswallung, wie ich sie noch nie erlebt hab. Da drin ist mein Vater entstanden und auf die Welt gekommen und diese 13 Kinder. Und alle meine Tanten, das waren vor allem nur Mädchen. Ich fass das nicht. Und dann habe ich mir überlegt, wo sind denn die Steinblöcke von den Wänden, die müssen ja irgendwo sein. Und da bin ich den Hang hinunter, auch im dichten Wald. Ich musste fast klettern. Unten an der Talzone im Sumpf überwuchert von Kraut und Baumwurzeln, liegen die Steinblöcke von diesem Haus. Und so wie man heute (Gebäude) wieder aufbaut aus den Trümmern, könnte man aus diesen Trümmern da unten dieses Haus wiederaufbauen. Es ist noch alles da, bis auf die Holzsachen. Das war ein gewaltiges Erlebnis, das habe ich so nicht erwartet. Und am nächsten Tag war ich auf dem Friedhof, ich bin da durchgelaufen, ohne etwas zu suchen. Ich habe nicht beachtet, dass es da noch deutsche Gräber gibt, aber es gibt viele deutsche Gräber, auch von damals noch. Und die sind alle gut erhalten. Ich habe noch nicht herausgefunden wie die erhalten werden und warum die erhalten werden, wer tut das? Die Stadtverwaltung, Angehörige, vielleicht sudetendeutsche die dort geblieben sind in irgendeiner Weise. Und plötzlich steh ich vor dem Grab meiner Großeltern von Tellerer, das habe ich überhaupt nicht erwartet. Und da hatte ich wieder einen solchen Gefühlsüberschellung, Gefühlswallungen, wie auf dem Tellerer am Tag vorher. Und da hatte ich zum ersten Mal ein Gefühl von Heimat. Ich hab mein ganzes Leben nie ein Gefühl von Heimat gehabt. Ich bin Heimatlos, ein Strolch. Es ist kein angenehmes Gefühl, ich hab es kultiviert der einsame Wolf, der dann in Berlin durch die Kneipen zieht. Macht sich gut, aber innerlich ist eine Leerstelle. Und als ich vor diesem Grab stand, hatte ich das Gefühl, diese Leerstelle ist jetzt gefüllt. Hier bin ich Zuhause, hier gehör ich hin.“

  • “Es gibt eine sehr bewegende Geschichte die in der Familie erzählt wird über meine Mutter. Sie selber hat es mir glaube ich auch nie erzählt, sie hat nie darüber geredet. Unter unserem Haus ist eine Bahnlinie verlaufen. Die verläuft da heute noch, das ist die Bahnlinie Karlsbad-Johanngeorgenstadt. Und die ist, das war 1939/40, in Stand gesetzt worden für Kriegszwecke natürlich. Und die Arbeiten haben Männer gemacht und von denen ist in der Familie gesagt worden, das waren Gefangene. Also ich vermute das waren Zwangsarbeiter, entweder Tschechen oder Polen. Es gab noch keine französischen Zwangsarbeiter. Es kommen nur diese beiden Nationalitäten in Frage, vielleicht auch deutsche. Und diese Männer wurden bewacht von zwei bewaffneten Soldaten. Und meine Mutter hat das gesehen und da ging eine lange Wiese hinunter und sie ist dann auf die Wiese gegangen und hat so getan, als ob sie arbeiten würde. Und dann hat sie an eine bestimmte Stelle, die von den Wachposten nicht eingesehen worden konnte Essen hingelegt. Milch, wir hatten Ziegen, Butter, Käse, Brot und sie hat es den Männern signalisiert. Und sie hat es immer gemacht, wenn die Posten in eine bestimmte Richtung gegangen sind, wo sie es dann nicht mehr sehen konnte. Und die Männer haben dann, wenn es gepasst hat, es (das Essen) geholt und haben gegessen. Und irgendwann haben die Männer gesehen, dass diese Frau immer korpulenter wird. Und dann kam sie eine Zeitlang nicht. Und dann kam sie wieder, dann war sie ganz schlank. Das heißt sie haben gesehen, da ist ein Baby auf die Welt gekommen. Und dann lag wieder Essen da. Und am nächsten Tag lag an dieser Stelle ein Blumenstrauß. Und das Baby, das auf die Welt gekommen ist bin ich. Jetzt kommen mir fast die Tränen. Ich kann mit meiner Mutter nicht mehr darüber reden, sie ist schon lange gestorben und damals hatte es keine Bedeutung für mich. Aber jetzt hat sie eine große Bedeutung und hab einen großen Respekt vor meiner Mutter.“

  • Full recordings
  • 1

    Rehau, Německo, 12.07.2018

    (audio)
    duration: 01:19:32
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Wir können Geschichte nicht löschen. Sie wird immer wieder zum Vorschein kommen.

Herbert Meinl
Herbert Meinl
photo: PB

Herbert Meinl ist am 4 April 1940 in Nejdek geboren. Sein Vater war der Gemeindekämmerer und seine Mutter war Hausfrau. Seine Schwester Herta war vierzehn Jahre älter. 1946 kurz nach Herberts sechstem Geburtstag, musste die Familie unter Zwang ihr Zuhause ihr Haus in Nejdek zu verlassen und wurde nach Burgau in Bayern deportiert. Seine Eltern waren in der Gemeinde gut angesehen, sie hatten Schwierigkeiten sich in dem neuen Land anzupassen und wurden den Rest ihres Lebens von den Erinnerungen und den traumatischen Verlust ihrer alten Heimat heimgesucht. Nach der Oberschule, machte Herbert seinen Universitätsabschluss in München und begann seine Karriere als Flugzeugbauer. Er lebte in München, Berlin, Friedrichshafen. Er war Vater von drei Kindern. Allerdings sagte er, dass er sich die meiste Zeit wie ein einsamer Wolf fühle, ein Mann der nie einen Ort sein Zuhause nennen konnte. Diese seltsame leere wurde in den 1990er Jahren etwas gelindert, als er die alte Heimat seiner Familie besuchte. Seit dem kehrte er regelmäßig nach Nejdek zurück. Auch durch seine Freundschaft mit Hanuš Hron, einem Holocaust Überlebenden, welcher in Nejdek lebte, hat er eine besondere Verbindung zu dem Ort.