Johannes Lobkowicz

* 1954

  • "In Dezember waren wir Eigentümer dieses rieseigen Kastens und völlig unentschieden, was damit passieren würde. Ich habe eine Förster angestellt, der sich mit einem großen schwarzen Hund unten eingelegt hat, damit was noch da war, nämlich die schönen alten Schlösser nicht gestohlen werden und dann bin ich mit meiner Schwiegermutter und einem Architekten hierhergereist und der Architekt hat gesagt – ja, das kann man schon herrichten. Und dann haben wir gedacht, entweder lassen wir das Haus, was wir gerade zurückbekommen haben, verfallen, oder wir ziehen hinein. Und dann sind wir in September eingezogen. In ein geheiztes Haus, mit fließendem Wasser, und gerichteten Böden. Es hat von Außen immer noch sagenhaft ausgeschaut, aber es war eine unglaubliche Leistung, ich war tief beeindruckt von der Qualität und Engagement aller Leute, die daran beteiligt waren."

  • "Das war ein unvergesslicher Eindruck, weil es war alles grau. Die Landschaft war grau, die Häuser waren grau, die Gesichter waren grau und alle Kleider waren grau. Die Mädchen auf der Straße haben scheußliche Säcke angehabt und wenn man in den Supermarkt hinein gegangen ist, stand nur eine Ware dort und die war auch grau, es war wirklich beindruckend."

  • "Im Jahr 1948, aber ich kann Ihnen nicht sagen zu welcher Jahreszeit, es muss im Frühjahr gewesen sein… Mit diesen 50.000 Kronen, was damals viel Geld war, wurde ein Schlepper angestellt, der sie in die Nähe der Grenze gebracht hat und dann durch den Wald geführt hat – da lauft ihr jetzt rüber. Sie waren zu Dritt, mein Großvater mit einem Rucksack, in dem ein Paar hübsche Schuhe drinnen waren, mein Vater mit einem Rucksack in dem Schopenhauer, die Göttliche Komödie und noch irgendwelche gescheiten Bucher drinnen waren und mein Onkel Fritz mit dem geliebten Mikroskop, unter dem er Frösche inspiziert hat. Mann ist dann zu Fuß bis nach Regensburg gekommen, dort in ein Lager gesetzt worden und dann ging das normale, mühsame Flüchtlingsleben los. In großen Sälen, mit vielen Menschen und einem grauslichen Klo irgendwo auf dem Gang. Es gibt die schöne Geschichte, das kurz nachdem sie angekommen sind, der Kammerdiener aus dem Schloss in Regensburg angekommen ist und meinen Großvater zum Abendessen eingeladen hat. Der hat sich gefreut und hat gesagt: „Gerne, was wollen wir anziehen?“ Kammerdiener hat gesagt: „Frack, natürlich, Durchlaucht!“ Und er: „Den hatte ich in Drahenice gelassen!“ „Bedauere unendlich, Durchlaucht!“ Und das Essen war wieder abgesagt."

  • "Praktisch hat es für die Familie bedeutet, dass sie nicht mehr nach Drahenice gehen konnten, dass sie in Troja in der Wohnung gewohnt hatten, dass man nur auf Tschechisch gesprochen hat. Auch meine Großmutter, die schlecht Tschechisch konnte, hat nicht mehr Deutsch gesprochen, mit niemandem. Man hat größten Wert darauf gelegt, auch wenn man deutsche Bekannte auf der Straße getroffen hat, deutsche Sprache nicht zu verwenden. Das war eine der wenigen Formen des Protests."

  • Full recordings
  • 1

    Praha, 27.01.2022

    (audio)
    duration: 01:51:12
    media recorded in project Tschechisches Adel
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Zu Hause bin ich in Drahenice

Johannes Lobkowicz, Praha 2022
Johannes Lobkowicz, Praha 2022
photo: Natáčení

Er wurde 1954 in München als Sohn von Mikuláš (Nicholas) Lobkowicz geboren, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit sechs Jahren im Exil lebte. Mikuláš Lobkowicz war 1948 aus der Tschechoslowakei geflohen und wurde im Ausland zu einem bekannten Philosophen und Politikwissenschaftler, der an Universitäten in Deutschland und den USA arbeitete. Johannes verbrachte daher seine Kindheit teilweise in den USA. Er studierte jedoch in Deutschland, ließ sich als Banker nieder, heiratete und bekam dort fünf seiner sechs Kinder. Im Jahr 1992 restituierte er das Familienschloss in Drahenice, Mittelböhmen, wohin er mit seiner Familie dauerhaft zog. Als Erwachsener lernte er Tschechisch als Fremdsprache. Doch auf die Frage, wo er sich zu Hause fühlt, antwortet Johannes Lobkowicz ohne zu zögern: “Ich bin in Drahenice zu Hause.” Das liegt auch daran, dass, wie er sagt, in Böhmen jedes kleine Kind den Namen seiner Familie kennt, anders als in anderen Ländern.