Marianne Kreul

* 1927

  • "Aber weil ich vorher von 1968 das Wort habe fallen lassen, da konnten wir natürlich schon wieder unbeschwert nach Tschechien rüber, auch früher schon und da ich immer schon eine emotionale Bindung mit Böhmen gehabt habe, durch meine Mutter und so, wir haben viele Urlaube in Böhmen und auch in Mahren und in der Slowakei gefallen. Zu mir hat man mal gesagt, Sie können ja Tschechien besser als Deutschland, weil wir immer in diese Richtung in Urlaub gefahren sind. Und auch 1968 im August waren wir, allerding diesmal nicht so weit, sondern im Doksy am Schönen See, haben wir Urlaub gemacht mit einer befreundeten Familie zusammen, denen wir immer vorgeschwärmt haben, wie schön es in Tschechien ist. Also zwei Familien haben wir da Urlaub gemacht und wir haben den Einmarsch der russischen Truppen in die Tschechoslowakei unmittelbar dort erlebt. Es standen jetzt zwei Fragen. Wie werden sich die Tschechen jetzt dazu stellen? Und da kann ich ihnen eines sagen, wir haben gemeinsam vor dem Radio gehockt. Und haben uns das angeschaut und angehört, die waren überhaupt nicht erfreut über die ganze Situation. Die andere befreundete Familie, mit der wir waren, das weiß ich auch noch ganz genau, der Mann hat gesagt: Jetzt muss man sich wieder Mal schämen, dass man Deutscher ist. Weil sie eben aus Deutschland… Also dieses Aufmarschgebiet für diese Invasion, die waren ja alle in Deutschland. Und die zweite Frage, die wir hatten, war, wie kommen wir jetzt wieder nach Hause? Wir hatten ja zwei Autos, vier erwachsene Personen, vier Kinder. Und da haben uns auch wieder die Tschechen geholfen, dass wir nach Hause gekommen sind."

  • "Und im Mai dann, und das habe ich auch nicht in meinem Leben für möglich gehalten, haben wir auch dann aus Zittau flüchten müssen. 41 Am 7 Mai, da wusste aber keiner, dass am 8 Mai der Krieg zu Ende ist, am 7 Mai waren auf einmal alle diese Barrieren und Panzersperren zu und dann hiess es Zittau wird befestigt und alle Kinder und Frauen raus aus Zittau, ins Gebirge, und schaut, wo ihr bleibt. Ich weiss nur, dass mein Vater in grosser Fürsorge für seine Familie und weil er die Situation irgendwie hat kommen sehen, der hat schon für uns im Vornhinein im ehemaligen Sudetenland mit einem ehemaligen Geschäftsfreund, auch einem Sudetendeuitschen ausgemacht, und hat gesagt wenn meine Familie in Sicherheit gebracht werden muss… Die hatten ein eigenes kleines Haus und wir hatten also ein Ziel, wo wir hin konnten. Und wir waren dann für eine ganze Zeit in einem kleinem Ort über der Grenze, für uns – was heisst jetzt Grenze, es war dort keine Grenze mehr. Halt im Sudetendeutschen Gebiet."

  • "Ich habe bis auf mein Studium die ganze Zeit in Zittau gelebt, bin also eine Zittauerin. Allerdings so ganz stimmt das auch nicht und weil ja dieser Film auch in Tschechien gezeigt wird, mochte ich sagen, ich habe eine Mutter, die ist in Liberec geboren und ist eine Sudetendeutsche. Und da man ja von der Muttersprache spricht, bin ich auch ein Bisschen eine Sudetendeutsche. Ich bin also die erste Zeit nach Reichenberg gefahren, da musste man hier in Zittau noch durch den Zoll. Da waren noch die Grenzkontrollen. Und Koffer mussten geöffnet und wurden durchgeschaut usw. Die Stadt sprach Deutsch, und aber es war auch so das genug Deutsche waren, die Tschechisch sprachen, meine Tante, also eine Stiefschwester von meiner Mutter, hatte in Liberec einen kleinen Laden, und da kamen Deutsche und Tschechen hin und sie konnte sich in beiden Sprachen gut verständigen. Und ich hatte auch das Gefühl, dass ein gutes Zusammenleben doch der Normalfall war, ich meine. Leute, die da unzufrieden sind, gibt es überall, aber es war nicht so, dass man sagen konnte, das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen war schlecht."

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    Zittau, 14.02.2024

    (audio)
    duration: 01:47:11
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Das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen vor dem Zweiten Weltkrieg war nicht schlecht

Marianne Kreul, 2024
Marianne Kreul, 2024
photo: Natáčení

Marianne Kreul wurde am 23. Dezember 1927 in der Lausitzer Stadt Zittau geboren, ihre Mutter war eine Sudetendeutsche aus Liberec. Ihre Lebensgeschichte ist auch die Geschichte der deutsch-tschechischen Grenze sowie ihrer sich wandelnden Formen im zwanzigsten Jahrhundert. Marianne Kreul erinnert sich an die Vorkriegsverhältnisse, die Besetzung des Sudetenlandes durch Hitlerdeutschland und den Krieg, an dessen Ende sie und ihre Mutter fliehen mussten. Die Nazis hatten nämlich die Industriestadt Zittau zur Festung erklärt, die nicht an die vorrückende Rote Armee übergeben werden durfte. Sie fanden Zuflucht auf tschechischem Gebiet im damaligen Sudetenland. Marianne Kreul erlebte auch die Nachkriegsarmut, die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Polen und der Tschechoslowakei, von der auch ihre Verwandten betroffen waren, und die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik auf der Grundlage der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Während Zittau und Liberec nach dem Krieg fünfzehn Jahre lang durch eine undurchdringliche Grenze mit Stacheldraht getrennt waren, studierte Marianne im völlig zerbombten Dresden Lehramt. Ihre böhmischen Wurzeln weckten dennoch ihr Interesse an der Tschechischen Republik, in die sie regelmäßig in den Urlaub fuhr. So war sie auch am 21. August 1968 am Mácha-See in Doksy, als der Einmarsch der „brüderlichen“ Truppen in die Tschechoslowakei stattfand. Der Einmarsch kam unter anderem aus der DDR, Mariannes Heimat, über die deutsch-tschechische Grenze. Die Geschichte des Zeitzeugen konnten wir dank der Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds aufzeichnen.