Heidi Bohley

* 1950

  • „Ja, und da kommt jetzt meine Geschichte, ich habe mal Václav Havel besucht, 1985. Und zwar war das, ähm… ja, da hat, ich war auch immer, ich muss auch sagen, dass ich auch immer irgendwie ängstlich war, ich kannte niemanden, ich kannte immer die tschechischen Verwandten, aber die kannten niemanden von den Charta-Leuten, und da jetzt irgendwie so einfach mal hinzugehen, hab ich mich auch nicht getraut. Und dann war ´85 so ne Situation, wo ich dann auch irgendwie so die Nase voll hatte und eigentlich auch gedacht hatte, ich stell jetzt auch nen Ausreiseantrag und geh weg. Und dann hatte ich aber von einem, dann hatte ich eine Adresse bekommen von so einem Charta-Menschen und ich war noch unentschlossen, es war irgendwie noch so in der Schwebe. Und im Sommer bin ich nach Prag gefahren, hab die Verwandten besucht und bin dann da hingegangen, ich weiß leider nicht mehr, wer das war, den Namen hab ich vergessen, den Mann, den ich besuchen wollte, war auch nicht da, nur seine Frau war da, die konnte nur ganz schlecht Englisch, Deutsch gar nicht, ich nicht Tschechisch, also wir haben uns so verständigt, und ich habe immer von Havel erzählt, und das ist so toll, und die Bücher und wie wichtig das für uns ist und dann hat sie mich gefragt, warum ich den Havel dann nicht besuche. „Das geht doch nicht, nein…“, „Na doch, und sie würd mal mit ihrem Mann sprechen und der ruft mich dann an“. Also meine Schwiegereltern hatten ein Telefon und am nächsten Tag kam ein Anruf und dann sagte jemand, „no, Frau Heidi, Václav erwartet Sie morgen um drei.“ Oh, und ich bin bald in Ohnmacht gefallen vor Aufregung. Na und dann bin ich da hingegangen, er war grade da eingezogen, in diese Wohnung, das Haus was damals seiner Familie gehört hat, in Prag an der Moldau. Da war er gerade irgendwie eingezogen. Und Frau Olga Havlová hat mir die Tür aufgemacht, und das war ja irgendwie, ich kannte die ja alle nur so über Veröffentlichungen. Und Havels Englisch war ungefähr auf dem gleich schlechten Level wie meins, so irgendwie ne große Verständigung war nicht möglich und er war ja auch sehr, er war ja sehr zurückhaltend und irgendwie wirkte, ja irgendwie schüchtern und ich fühlte mich auch irgendwie als Eindringling. Aber was ganz besonders war, war, da saß ein Mann, der war gerade bei ihm zu Besuch, das hatte mir Havel dann gesagt, dass er ist aus nem Dorf, die kannten sich irgendwie aus dem Gefängnis, und der Mann war dann in seinem Dorf gewesen und hatte immer Aufenthaltsbeschränkungen, also er durfte sein Dorf nicht verlassen und diese Beschränkung war gerade aufgehoben worden und er war nach Prag gefahren, um Havel zu besuchen. Und der konnte nun überhaupt kein Deutsch, konnte kein Englisch, der sah es nur immer an, und hat mich immer nur mit glänzenden Augen angeguckt, so wie „Oh, aus aller Welt kommen sie zu Václav“. Und dann hat er ihn auch immer so liebevoll, so nen Bäuerlein war das, Havel hat er dann immer so liebevoll angeguckt und Havel guckte immer so nen bisschen nach unten und wir haben uns dann nur so nen bisschen unterhalten und dann klingelts und dann kam Anna Šabatová und die musste dann auch gleich wieder weg, weil die Kinder da jetzt alleine waren und sie musste auch das Essen machen und dann saß ich da und hab gedacht, „was willst Du denn im Westen, du blöde Kuh, das sind doch hier deine Leute“. Wie würdest Du dich denn jetzt fühlen, wenn Du aus dem Westen zu Besuch wärst, hier, na, das wär ja erst mal peinlich. Und das war das Ende meines Ausreiseantrags.“

  • „Ich habe immer gesagt, also, das was wir da gemacht haben, an Veranstaltungen und überhaupt, das war überhaupt nichts Besonderes. Das Besondere daran war, dass wir es in der DDR gemacht haben. Deswegen ist es jetzt irgendwo schwer zu erklären, was wir da gemacht haben, wir sind gegen den Strom geschwommen und wir haben im Grunde das gemacht, irgendwann wussten wir dann, wie man das nennen kann, nämlich Versuch in der Wahrheit zu leben.“

  • „Es gab so Parallelgesellschaften. Also, ich denke, Deutschland ist nicht nur jetzt in Ost und West geteilt gewesen, sondern der Osten war auch geteilt. [Innerlich?] Innerlich. Und man hat sehr schnell so ein Sensorium entwickelt, ob man jemandem trauen kann. Wessen Geistes Kind jemand ist, der einem da grad gegenüber sitzt. Und die fanden sich dann zusammen. Und gerade so unter den jungen Leuten, gabs ja ganze Freundeskreise, also da gabs eben in Jena welche, und in Weimar und in Berlin und die kannten sich dann auch untereinander. [Was für Themen haben Sie z.B. diskutiert damals?] Naja, wir haben, also das war irgendwo, also z.B. eben den Prager Frühling und die Perspektiven des Sozialismus und wie das weitergehen könnte, sollte, und äh, wenn man eben hier lebt und dann sozusagen die Theorie beim Wort genommen und zu gucken, also was wird gesagt und wie ist es tatsächlich. Also schon auch versucht so eine kritische Analyse zu machen und das Ziel war eigentlich so, dass man sagt, nicht einfach nur so dumpf rumzunölen und zu sagen „alles ist scheiße“, sondern immer zu benennen, was konkret eigentlich verbesserungswürdig ist und das auch immer so ein bisschen eine gewisse Absicherung. Sozusagen, wir sind ja gar nicht gegen den Sozialismus, aber wir haben die und die Forderungen und Vorstellungen. Und das ist dann oft, oder wird auch oft jetzt missverstanden von Historikern, wenn die sich so Dokumente angucken, also wenn irgendwo sowas aufgeschrieben ist und dann steht dann da „naja, wir sind ja für den Sozialismus“, dann heißt es jetzt „Ja, ihr ward ja auch alle für den Sozialismus“. Aber dieser Satz war ja auch immer so eine Absicherung, dass man sich jetzt nicht in die staatsfeindliche Ecke begeben wollte.“

  • „Es ist auch eine eigene Entscheidung, wenn man sich als Freunde sucht. Man kann sich ja auch welche suchen, die mutiger sind als man selber und die kann man dann wenigstens unterstützten. Also diesen Satz „man kann ja nichts machen“, finde ich, das ist Quatsch. Man kann immer irgendwas machen. Und auch wenn man eigentlich sehr ängstlich ist, kann man zu mindestens denen den Rücken stärken, die sich ein bisschen mehr trauen. Ja und dann kam Bärbel und sagte, wir müssen da jetzt irgendwas unternehmen, weil wenn jetzt nichts unternommen wird, wenn da jetzt kein Protest kommt, dann kommt ja das Nächste. Und das war ja sehr einleuchtend, das war ja klar, dass man gegen dieses Gesetz nichts mehr unternehmen kann, aber das Ausbleiben von Protest würde ja ermutigen, den nächsten Schritt zu machen. Wir haben dann Eingaben geschrieben, es gab in der DDR ein Eingabengesetz, wo man sich beschweren konnte an höchster Stelle, wenn man irgendwas hatte, was einem nicht gepasst hat und das Eingabengesetz sagte, dass man in einer bestimmten Frist eine Antwort bekommen muss, in der Regel war das so, dass die Leute sich beschwert haben, weil sie keine Wohnung kriegten oder weil die Dachrinne tropfte oder… und dann wurde das vom Staatsrat meistens wieder runter gegeben an die Stelle, über die man sich beschwert hatte und die beantworteten das. Ja, also, so ne Scheindemokratie. Und wir haben dann also an den Staatsrat geschrieben, haben gegen dieses Wehrdienstgesetz protestiert und dass wir nicht damit einverstanden sind, dass da Frauen gemustert werden und haben das losgeschickt. Und ich hatte, ich hatte wirklich Schiss, auch gerade mit dieser Erfahrung mit dem Freund, staatsfeindliche…, also ich hab gedacht, wenn ich da jetzt einen Brief schreibe, ich meine wir werden das Gesetz nicht ändern, dann kann ich im Grunde genommen gleich bei der Staatssicherheit klingeln und sagen „hallo, da bin ich wieder“. Aber es war eben, ja, so ist es eigentlich in meinem ganzen Leben gewesen, ich habe immer gedacht „ja, das ist wichtig, und dass muss jemand machen“, und es wäre mir lieber gewesen es hätte jemand anderes gemacht, aber es war keiner da, also musste man es selber machen. Und da habe ich diese Eingabe geschrieben und hab dann unten drunter, es gibt jetzt so eine Ausstellung über diese Geschichte mit den ganzen Frauen und den Eingaben, und da wurde dann auch der Satz zitiert, damals habe ich nicht gedacht, dass das noch mal erscheinen wird, öffentlich, aber ich war sehr zufrieden mit dem Satz, unten drunter habe ich geschrieben „Meine Herren, Sie müssen in Ihrer Armee auf mich verzichten.““

  • Full recordings
  • 1

    Dresden, 24.06.2014

    (audio)
    duration: 01:45:45
    media recorded in project Stories of 20th Century
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Das Wichtigste ist Empathie gegenüber anderen Menschen.

Heidi Bohley
Heidi Bohley
photo: Ladislav Lindner-Kylar

Heidi Bohley wurde 1950 in Görlitz geboren. Ihre Eltern waren drei Jahre zuvor mit einem Vertriebenentransport aus einem lediglich 50 Kilometer entfernten, niederschlesischen Ort nach Görlitz gekommen. In ihrer Kindheit fühlte sie stets den Schmerz der Eltern über die unerreichbare Heimat und so wurde auch für sie Görlitz nicht zur Heimatstadt. Ihre früheste Kindheitserinnerung hat sie an den 17. Juni 1953 als ihr Vater im Zuge des Aufstandes verhaftet wurde, nach einigen Tagen jedoch wieder frei kam. Die Familie bemühte sich, sich nicht zu sehr in die Strukturen der DDR einzupassen, so war auch Bohley selbst nicht Mitglied der Pioniere. Das Abitur konnte sie somit nur durch Fürsprache eines Lehrers ablegen. 1969 begann sie in Halle an der Hochschule für Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein zu studieren. Dort herrschte eine freiere Atmosphäre als in Görlitz, Bohley begann sich mit Studienkollegen zu Diskussionen und Gedankenaustausch zu treffen. Ein wichtiges Thema zu dieser Zeit war die Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr zuvor, deren Brutalität auch viele der Studierenden schockiert hatte, und die daraus entstehende Frage nach der Zukunft des Sozialismus. Die regelmäßigen Treffen fanden in so genannten Abrisshäusern statt, in denen damals viele Studierende in Halle günstig lebten. Bohley und ihren Kommilitonen ging es dabei stets darum, konkrete Probleme zu benennen und nicht bloß zu jammern, auch schon um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, gegen den Sozialismus zu sein. Diese Zeit endete plötzlich im September 1973, als ein Freund verhaftet und zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Zwei Jahre zuvor, 1971, hatte Bohley ihren ersten Mann, den Tschechen Ladislav Vyroubal kennen gelernt. Im Januar 1973 wurde die gemeinsame Tochter Marie geboren, im Mai desselben Jahres verstarb ihr Mann an einem Asthmaanfall. Bohley hat seitdem immer noch eine starke Verbindung zur Tschechoslowakei und auch noch Kontakt mit ihren tschechischen Schwiegereltern. Die siebziger Jahre waren dann eine eher unpolitische Zeit, in der sich der Freundeskreis auch wegen Verhaftungen und Ausreisen verkleinerte. 1982 begann dann Bohleys politische Phase: Die DDR hatte ein neues Wehrdienstgesetz erlassen, auf deren Grundlage auch Frauen zur Musterung eingezogen werden sollten. Aufgefordert von ihrer Schwägerin Bärbel Bohley (die Schwester ihres zweiten Mannes) schrieb auch Heidi Bohley als Protest eine Eingabe. Diese wurde jedoch nicht beantwortet und die Frauen formulierten sodann einen gemeinsamen Protest und sammelten 150 Unterschriften. Aus diesem Engagement entstand die DDR-weite Frauengruppe „Frauen für den Frieden”. Eine öffentliche Plattform für die Arbeit stellte die evangelische Kirche dar. Die Gruppe hatte zudem Kontakt zur westdeutschen Friedensbewegung, die auf der einen Seite Vorbild war, von der sie auf der anderen Seite auch Ablehnung erfuhren. Bohley empfindet ihr damaliges Engagement selbst nicht als etwas Besonderes, sondern sagt, da sie es tun musste, da es niemand anderes tat. Die Frauenbewegung stellte für sie in den achtziger Jahren einen großen Rückhalt dar. Wichtig war auch die Inspiration durch Václav Havel, den sie 1985 in Prag treffen konnte. Infolge wurde ihr die Einreise in die Tschechoslowakei bis 1990 verboten. Nach 1989 war Bohley 10 Jahre lang für das Neue Forum Mitglied im Stadtrat in Halle. 1995 gründete sie den Verein „Zeit-Geschichte(n). Verein für erlebte Geschichte”, der Geschichte aus der Perspektive der Menschen erzählen möchte und zahlreiche Publikationen herausgibt. Heute lebt Bohley in Dresden und arbeitet für den Verein „Zeit-Geschichte(n)”.