Prof. Michael Albus

* 1942

  • „Das allererste Mal bin ich nicht mit meiner Frau gekommen, sondern mit meinem Vorgesetzten damals, mit dem katholischen Priester Vinzenz Platz, der hat mir die Möglichkeit eröffnet mit Kaplans überhaupt in Kontakt zu kommen. Dann bin ich später mit meiner Frau gekommen, auch mehrmals noch. Wir sind immer, wenn wir nach Hause gefahren sind, und wir haben die Eindrücke verarbeitet unterwegs, haben wir immer gesagt, das ist eine unglaubliche Familie, die eine Mischung zwischen kreativem Chaos und dem Versuch das Chaos zu bändigen. So ungefähr würde ich es mal gerne beschreiben. Und dann ist mir auch aufgefallen, dass bestimme Themen, wenn ich bestimmte Themen mit Jiří oder Maria ansprechen wollte, hat Jiří gesagt: ‚Können wir das später nochmal miteinander besprechen?‘ Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, er hat Angst, das etwas abgehört wird. Er hat mir ausdrücklich auch einmal gesagt, er rechnet damit, dass das Haus verwanzt ist, also Abhörmikrofone irgendwo sind. Und dann haben wir, wenn wir über ernsthafte Dinge gesprochen haben, zB was die Situation der Kirche betraf, sind wir raus aus dem Haus und sind unter in den Park. Dort haben wir sehr intensive Gespräche geführt. “

  • „Also die ganz konkrete Welt hinter dem eisernen Vorhang das war erstmal für mich tatsächlich die Tschechoslowakei, eine graue Welt. Eine Welt, in der die Farben fehlten, graue Häuser. Am schlimmsten habe ich noch in Erinnerung den Platz um die Teinkirche – grau in Grau. Und dementsprechend auch wenn man versucht mit Menschen zu reden, es lag wie ein Film über allem. Ich weiss nicht, wie ich es genau bezeichnen soll. Kalt. Aber deswegen auch um so erstaunlicher, die Menschen, die hinter dem eisernen Vorhang versuchten ihr Leben als Christ zu leben, als Christinnen und Christen zu leben, die versucht haben das Grau zu durchbrechen., indem sie zueinander standen, miteinander Kontakt hielten. So ungefähr würde ich es sehen. Eine graue Welt, in der der Einzelne nichts wert war, sondern nur bemessen wurde nach seiner Funktion für die Ideologie.“

  • „Namen durfte man nicht nennen, das war das Schlimmste, was man machen konnte – wenn man Namen nannte. Denn damit hatten sie einen Zugriff, eine Möglichkeit. Man musste Informationen verschleiern. Also wenn ich von jemand gesagt bekommen habe, da hat wieder der Mann in der DDR zugegriffen auf eine kirchliche Stelle, und ich habe das von der kirchlichen Stelle erfahren, dann durfte ich den Namen nicht nennen. Hätte ich ihn genannt, wäre diese Ebene gekappt. Hätte es nicht mehr gegeben. Wir mussten, wenn wir z.B. in der DDR waren, und haben mit den Leuten geredet, mussten wir an der Grenze alle unseren Schreibutensilien abgeben. Wir durften nichts mehr dabei haben – kein Papier, kein Bleistift, nichts. Wir mussten mit leeren Taschen hingehen, sie haben uns in die Taschen geschaut, ob wir kleine Hörgeräte oder sonst etwas drin hatten.“

  • „Im September 1979, er (Jiří Kaplan) beschreibt das in dem Interview, das ich mit ihm gemacht habe, ganz genau, dass er schon damit gerechnet hat, und Maria ruft hoch: ‚Sie sind schon da.‘ Und dann geht er mit. Ich habe das nicht von der Familie erfahren, ich weiss es nicht mehr genau. Wenn es mir jemand aus der Familie mitgeteilt hätte, wäre er in Schwierigkeiten gekommen, ich habe es dann über irgendeine Nachrichtenagentur im ZDF erfahren, ich kann es nicht mehr genau verfolgen. Und dann wusste ich – so, jetzt ist es so weit. Ich war erstmal wie gelähmt. Dann haben wir in der Redaktion auch überlegt, was wir machen können mit unseren Mitteln, damit die Situation sich verbessert, wobei klar war, wenn wir gegen das Regime etwas gesagt hätten, wäre das für Jiří noch schlimmer ausgefallen. Dann haben wir den Versuch gemacht, wo wir an die Grenzen des Journalismus gegangen sind, die Zuschauer einer Sendung aufzufordern Petitionen anzureichern an Husák. Ich weiss noch in einer Sendung habe ich die Adresse des Staatspräsidenten angegeben, und ich habe dann auch eine Petition von der Redaktion angestossen. Da hatte ich erste grosse Probleme mit meinem Vorgesetzten, mit dem Intendanten, bekommen, der mit dem gewissen Recht geht und sagt: Ihre Aufgabe als Journalist ist es nicht solche Aktionen zu machen, sondern darüber zu berichten. Das war eine kritische Situation für mich, aber ich habe mich für mich entschieden damals, und mit der Redaktion damals, da habe ich sehr intensiv mit den Mitgliedern der Redaktion darüber diskutiert, dass es Situationen gibt, in denen ein Journalist den Posten der Beobachtung verlassen muss und sich nicht mehr herausreden kann. Für mich war die Situation damit gegeben, und wir haben es wirklich diskutiert nach allen Regeln der Kunst und haben uns dann so entschieden, indem wir den Aufruf gemacht haben.“

  • „Das wurde gleich mitgeteilt mit der Erteilung des Visums, ich hätte mich am anderen Tag, wenn ich ankomme, morgens einzufinden in der Bartolomějská und dort ein Gespräch zu führen über meinen Besuch. Das hat damit zu tun, dass ich nicht nur als Privatmann kam, sondern für sie, und das war ich ja in Wirklichkeit auch, jemand, der im Massenmeidum sass, und jederzeit die Möglichkeit hatte bestimmte Dinge zu sagen, die sie nicht hatten. Ich muss ehrlich sagen, ich habe die Leute, die hinter dem Schalter sassen, es war wie Fahrkahrtenschalter, da sind Leute gessesen, ich kann es heute noch nicht wegdrücken, das waren Leute zum Teil richtige dicke Bürger, die haben mich auch emotional unheimlich abgestossen. Die sassen so feist und dick hinter ihrem Schalter und haben dann Fragen gestellt. Das hat mich ungeheuer aufgeregt, aber ich durfte meine Aufregung nicht zeigen, ich musste freundlich sein. Wie es bei Wilhelm Busch heisst: Sei höflich und bescheiden, denn das mag der Onkel leiden.“

  • Full recordings
  • 1

    Praha, 29.11.2022

    (audio)
    duration: 01:57:16
    media recorded in project Stories of the 20th Century TV
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Ich überschritt die Grenzen des Journalismus und forderte die deutschen Zuschauer auf, eine Petition an Präsident Husák zu verfassen.

Michael Albus 1943
Michael Albus 1943
photo: Pamětník

Michael Albus wurde am 17. März 1942 in Bühldorf in Baden in eine streng katholische Familie geboren. Er studierte Germanistik und Theologie, wurde jedoch nicht Priester, sondern Journalist. Zunächst arbeitete er für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, später beim ZDF. Nach seinem Studium kam er zum ersten Mal 1969 in das kommunistische Tschechoslowakei. In Prag wohnte er bei der Familie Kaplan, bedeutenden katholischen Dissidenten mit zehn Kindern. Er brachte verbotene Literatur und Mangelware ins Land und informierte die westliche Öffentlichkeit über unsere Situation. Er organisierte Reisen nach Tschechoslowakei für Schüler der Abschlussklassen, später durfte er nur noch privat reisen und schließlich wurde ihm Anfang der 80er Jahre die Einreise in die Länder des Ostblocks vollständig verweigert. Er hielt jedoch ständig Kontakt zu tschechischen katholischen Dissidenten und versuchte, an geeigneten Stellen in der BRD auf die bedrückende Situation der Gläubigen hinter dem Eisernen Vorhang aufmerksam zu machen. Nach 1989 nahm er an einem Dankgottesdienst in der St.-Veits-Kathedrale teil, an dem viele Mitglieder der katholischen Untergrundkirche in einer bewegenden Atmosphäre teilnahmen. Als Journalist verfolgte er den Ansatz, Dinge gründlich und aus eigener Erfahrung kennenzulernen, was er auch während seiner Tätigkeit in Südamerika oder bei der Dreharbeiten zu kulturell-religiösen Reportagen anwandte. Er wurde Professor für Religionspädagogik der Medien an der Universität Freiburg und leitete zwanzig Jahre lang die Zeitschrift Ost-West: Europäische Perspektiven. In seinem Leben strebte er nach Engagement, für ihn war es wichtig, nicht nur am Tisch zu diskutieren, sondern zu handeln. Sich nicht nur auf Traditionen zu verlassen, sondern offen zu sein.